Mittwoch, 12. Mai 2010

Rezension: Tobago

Bruce Allen: TOBAGO für 2 bis 4 Personen, Zoch 2009, zuerst veröffentlicht in Faiplay Nr. 90

Die Suche nach dem heiligen Spiel

Eigentlich sucht doch jeder nach dem besten, dem perfekten, dem ultimativen Spiel. Manche sogar hauptberuflich, einige als Jury und viele so wie ich. Egal, wie man sich Spielen nähert, auf dieser Schatzsuche muss man spielen. Spiel für Spiel! Und für Vielspieler bedeutet die Suche eher Masse statt Klasse. Viel zu wenig Zeit bleibt, um einen Schatz zu ergründen, ihn wirklich zu heben. Statt dessen wird heute gespielt, morgen eine Rezension im Netz veröffentlicht und übermorgen wieder etwas anderes „getestet“ ... Nach einem Jahr fallen sowieso die allermeisten Spiele dem Vergessen anheim. Jeden Tag eine Spielkritik ist wohl der Gipfel dieser Einstellung. Manche finden so was ja professionell, werden getrieben von der Suche nach dem heiligen Spielregal, äh … Spielegral. Eine Schatzkarte aber hat niemand dabei. Wo landet man bei dieser Suche? Auf TOBAGO? Eher in vollgestopften Räumen, zugewuchert von Spieleschachteln. Ein ewiger Wildwuchs, der alles überdeckt, was war und ist. Das persönliche TIKAL. Unter Schichten von Schachteln verbergen sich Schätze, wie längst vergessene Ruinen einstiger Hochkultur.

Aber wir schauen ja ungern zurück, unsere verblassende Erinnerung ist uns ein guter Grund. Was war schon gestern? Wie hieß das Spiel des Jahres 2008? Egal, wir müssen neu entscheiden: Über die Helden dieses Jahrgangs, über den Schatz des Jahres. Und wo führt mich die Suche hin? Auf „Die Schatzinsel“ von Stevenson, als Weihnachtsvierteiler im Fernsehen. Früher war nur alles einfacher, da gab es keine Schnörkel, keine Verschneckungen, keine Knicke in der Dramaturgie. Früher war alles entweder gut oder schlecht. Sam Hawkins gut, John Silver eher schlecht. So einfach kann Schatzsuche sein.

Und was ist jetzt an TOBAGO gut, und was schlecht? Es gibt Hinweise, Ahnungen … man hat Erfolg oder auch nicht. TOBAGO ist nicht „Die Schatzinsel“, viel näher dran an der Schatzsuche, mit guter Dramaturgie, denn wir gemeinsam suchen und finden die Schätze. Und das funktioniert vorzüglich.

Und wie genau? Aus drei Teilen bauen wir die Schatzinsel zusammen. Egal ob Vorder- oder Rückseite, die Karibik-Insel besteht mal aus mehr oder weniger Sechseck-Feldern und aus sechs verschiedenen Geländetypen. Das ist wichtig für die Schatzsuche, denn Hinweiskarten grenzen das Gelände, mithin den Schatzfundort, ein. Stopp, es ist nicht nur das Gelände, was über den Standort des Schatzes bestimmt. Hütten, Palmen und Statuen sind nicht unwichtig. Hinweiskarten beziehen sich auch auf diese schnörkeligen Objekte, die zu Spielbeginn auf der Landkarte verteilt werden.

Was also tun? Normalerweise wird man eine Hinweiskarte für einen der vier Schätze der Insel ausspielen. Jede Hinweiskarte muss Fundorte weiter eingrenzen und darf nicht zu bereits ausliegenden Karten im Widerspruch stehen. Und natürlich darf auch der letzte aller möglichen Fundorte nicht ausgeschlossen werden. Reduktion statt Deduktion! Noch mögliche Fundorte werden mit Steinchen in Schatzfarbe markiert. Was sich hier so einfach anhört, entpuppt sich mit den richtigen Mitspielern als echter Logik-Trainer. Gut, wenn einer dabei ist, der überzeugend klar stellen kann, was geht und was gerade nicht geht. Leider kann ich nicht überall mitspielen ...

Wo liegt der Schatz? Kommt man mit dem Landrover bequem dorthin? Mit dem eigenen Landrover über die Insel brettern, sollte man nur dann tun, wenn es sich wirklich lohnt. Wer als erster zum letzten Fundfeld fährt, hebt den Schatz. Man kann aber leider nicht beliebig weit fahren, nur drei Teilstrecken. Jede Fahrt im selben Gelände ist eine, jeder Geländewechsel eine andere Teilstrecke. Erreicht man den Schatz tatsächlich vor den anderen? Oder findet sich der Schatz wie zufällig genau dort, wo mein Landrover steht? Das ist die hohe Kunst. Wer den Schatz hebt, kommt als erster an die Beute. Die erste Wahl, aber vielleicht doch nicht die beste. Das zeigt sich erst, wenn die gesamte Beute verteilt ist. Wenn sie überhaupt verteilt wird.

Dem Landroverfahrer und allen Hinweisgebern wird geheim eine Goldkarte zugeteilt. Was man erhält, behält man schön für sich, denn es könnte ja auch ein Totenkopf darunter sein. Totenköpfe sind böse, behauptet jedenfalls Ureinwohner Bruce Allen. Es sind zwar nur zwei Totenköpfe unter den Schatzkarten, aber ... Die Karten werden mit einer zusätzlichen Schatzkarte vom Stapel gemischt. Die erste Karte geht offen an den Landroverfahrer. Nehmen oder nicht? Falls nicht, geht die Karte an den zweiten in der Reihe, usw. Da ist natürlich von Vorteil, als erster an die Reihe zu kommen, wenn man weiß, dass sich ein Totenkopf unter den Karten befindet oder man sofort eine hohe Karte vorgesetzt bekommt. Mitunter ist die Entscheidung knifflig. Abwarten oder nehmen? Das kann gefährlich werden, denn wenn ein Totenkopf aufgedeckt wird, ist Schluss mit lustig. Nix gibt’s mehr! Und obendrein wandert die wertvollste Münzkarte in den Orkus, falls man nicht gerade ein Amulett besitzt. Das ist ein echter Schlag ins Kontor. Verfluchte Schätze! Ich liebe diesen Mechanismus, auch wenn er wegen der Totenköpfe reichlich unausgewogen sein kann. Aber solange die Totenköpfe nur die anderen treffen, soll es mir recht sein.


Die Schatzjagd lädt natürlich dazu ein, einen Schatz ganz allein zu heben. Dann hat man alle Karten für sich, trägt aber auch das volle Risiko. Es lohnt sich auch, sich einzuzecken, zu partizipieren, abzugreifen, wo immer es geht. Ob man dafür unbedingt mit dem Rover zum Schatzheben ausfahren muss, sei dahin gestellt. Es geht auch ohne. Einfach nur Karte um Karte spielen und hoffen, dass sämtliche Totenköpfe an einem vorbei gehen.

TOBAGO hat aber noch ein paar feine, kleine Schnörkel zu bieten. Immer wenn ein Schatz gehoben worden ist, taucht in Blickrichtung der Statuen an der Küste ein Amulett auf. Die Statuen sind massiv, haben dicke Nasen und eine wulstige Stirn, deren Blickrichtung ist klar definiert. Und damit beim nächsten Mal nicht wieder an denselben Stellen Amulette auftauchen, werden die Statuen um 60 Grad gedreht. Hütten und Palmen sind ebenso schöne dreidimensionale Schnörkel.

Mit den Amuletten kann man so einiges anfangen, weshalb man sie tunlichst mit dem Auto einsammelt. Oder auch nicht ... Ich fahre Amulette an, sind sie doch sehr mächtig, erlauben viel, außer bei zusätzlicher Fahrt wieder ein Amulett einzusammeln. Aber spielentscheidend sind sie nicht. Es geht - mit einigem Glück - auch ohne.

Mein Lieblingsschnörkel, aber leider nur eine fehlinterpretierte Regel: Nach erfolgreicher Schatzsuche wechselt der Startspieler. Wer zuletzt eine Goldkarte erhalten hat, muss eine Hinweiskarte dem soeben gehobenen Schatz zuordnen. Es wird schließlich Schatz um Schatz auf der Insel gesucht und gehoben. Diese Regel wirbelt den Spielfluss schön durcheinander, denn die bisherige Reihenfolge wird durchkreuzt, mit allen Folgen und Nebenwirkungen. Eine sicher geglaubte Fahrt zu einem Schatz geht plötzlich flöten, das letzte Feld eines Schatzes findet sich doch weit weg vom eigenen Landrover. Des einen Freud ist bei TOBAGO oft genug des anderen Leid. Diesen Schnörkel kann man so aus der Regel lesen, aber nach Recherche auf der Verlagshomepage weiß ich, dass die Reihenfolge nicht wechselt. Schade ...

TOBAGO ist sicher nicht das ultimative Spiel. Dazu verwirrt es doch einige Mitspieler ob der Hinweiskarten. Wie die genau zu interpretieren sind, sollte man im Zweifel den Bauch entscheiden lassen. Es findet sich! Was aber TOBAGO schon sehr nahe an das diesjährige ultimative Spiel bringt, ist seine Andersartigkeit. TOBAGO verlässt den historischen Mainstream, kein Platzieren von Arbeitern, keine Mehrheitenbildung, keine historisierende Grafik. Deduktion ist es zwar nicht, doch die Schatzsuche ist eine frische, lockere Angelegenheit. Diese Idee ist aber nicht wirklich neu. OLD TOWN von Clicker erschien 2004, bietet eine ähnliche Spielanlage. In der Rezension zu OLD TOWN schrieb ich, dass ich als Redakteur OLD TOWN nicht in mein Programm aufgenommen hätte, obwohl sehr innovativ. Jetzt hätte mich TOBAGO wegen des runden Spielverlaufs und der gelungenen Schnörkel anders entscheiden lassen. Ich wäre mir sicher, dass ich mir da einen echten Schatz in mein Programm geholt hätte.

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