... das Spiel ...
Ingolstadt - respektive AURIPOLIS - nähert man sich am besten mit dem Boot. ... und zwar jeder mit seinem eigenen Schiffchen. Natürlich will jeder zu Rohstoffen kommen, zu Salz, Wein, Eisen, Korn oder Holz, weshalb das Schiff mit diesen Waren beladen wird. Natürlich kommt keiner an eine bestimmte Ladung, da sei der zehnseitige Würfel und die Tabelle vor. Also würfelt jeder viermal, vergleicht Würfelwurf mit der Tabelle und deponiert die gewonnene Ladung im Ständer. Die Karten mit den Rohstoffen passen ja nun wirklich nicht ins Boot, weshalb der Ständer zwar nicht stimmig, aber doch funkional und einigermaßen schön ist. Nun denn, das Boot liegt mit all den Waren tief im Wasser, jetzt muss es vorwärts. Sie dürfen sich schon mal überlegen, mit welcher Geschwindigkeit sich Ihr Boot bewegen soll: mit 1/1, 1/2 oder 1/4 Geschwindigkeit. ... und Sie müssen sich auch noch überlegen, ob's vorwärts, rückwärts oder seitwärts gehen soll. Ist Ihre Entscheidung gefallen? ... dann würfeln Sie mit dem achtseitigen Würfel und schauen auf der Tabelle auf dem Spielplan nach, ob Ihr Schiff eins bis acht Felder auf der Donau zurücklegt. Leider, leider sind die Startpositionen nicht alle gleich gut, und außerdem sind die Zielfelder nicht gerade eindeutig gekennzeichnet. Zwar steht am Ingolstädter Ufer Ihr Handelshaus, aber an welcher Anlegestelle sich Ihr Handelshaus befindet, müssen Sie sich selbst zusammenreimen. Die Häuser liegen alle hintereinander am Ufer, so dass jemand den weitesten und ein anderer einen besonders kurzen Weg ins Ziel hat. ... und weil die Donau kein Kanal ist, verengt sie sich natürlicherweise von vier auf drei Spuren, was das Manövrieren auch nicht gerade vereinfacht.
Auch wenn Ihr Schiff noch unterwegs sein sollte, in Ingolstadt gibt's währenddessen genug zu tun. Immer, wenn eine Runde abgeschlossen ist, darf der jüngste Mitspieler eine Ereigniskarte vorlesen, die im Regelfall alle betrifft. Eingeleitet durch stadthistorisches Blabla folgt meistens etwas wie: "Ein Unrecht kann bestraft werden. Eine Weiterentwicklung der Rechte. Baue sofort eine Straße." Oder: "Steuer: Gib 1 beliebige Rohstoffkarte ab." ... und? Ist das schon alles?! Nein, denn wenn es Ihnen gelingen sollte, eine Bastion zu ergattern, dürfen Sie eine Straße Ihrer Mitspieler wieder abreißen. Ja, werden Sie denken, was ist denn das für ein merkwürdiges Spiel. Genau, deshalb spielen Sie ja bei AURIPOLIS eigentlich DIE SIEDLER. Nein, es sind aber nicht DIE SIEDLER VON NÜRNBERG, sondern DIE SIEDLER IN AURIPOLIS. ... auf einem festen Plan zwar und auch ohne Räuber, das ändert aber so gar nichts an der Tatsache, dass es doch DIE SIEDLER sind, die da an allen Ecken um die Ingolstädter Häuser lugen. Da zeigt sich die Qualität des Teuberschen Spiels, das selbst Operationen am offenen Herzen verträgt.
Eines lernt man bei AURIPOLIS sehr schnell; nämlich dass im Original der Räuber sehr wichtig für die Spielbalance ist. Mit der ganzen Hand voller Karten kann man bei AURIPOLIS einiges bewirken, es sei denn man verliert welche durch Ereigniskarten. Bei AURIPOLIS gibt's sogar Siebener-Chips, an denen zu siedeln aus Gründen der Statistik sicher sehr lohnenswert ist.
... und wenn AURIPOLIS als Spiel bestenfalls ein "geht so" verdient, wie schaut's dann mit dem Material aus? Da ist die quadratische Schachtel, bei AURIPOLIS offensichtlich einem babyblauen Schuhkarton für Kindergummistiefel entlehnt, da sind die nur anders benannten Rohstoffkarten und die Tabelle für die Tauschverhältnisse. Alles sehr SIEDLER-verdächtig. Eigentlich ist das Material ganz gut, denn alles ist professionell produziert und auf den ersten Blick auch wirklich schön anzuschauen. Aber praktisch ist es nicht, es zeigt sich doch deutlich, dass ein Zeitungsverlag noch lange kein Spieleverlag ist. Auf dem schwarz-weiß-grau-braunen Spielplan verlieren sich die nichtssagenden schwarz-weißen Rohstoff- und Zahlenchips. Auch die Grafik auf den Rohstoffkarten ist fürs Spielen nicht gerade prickelnd. ... und erst die Regel. Wenn ich nicht DIE SIEDLER schon gekannt hätte, hätte ich doch arge Probleme mit AURIPOLIS gehabt. Nicht umsonst gab's zum Spiel eine offizielle Errata, die in Ingolstadt verteilt wurde. ... aber weil Sie DIE SIEDLER ja in- und auswendig kennen, dürften die Ingolstädter Hürden für Sie kein Problem darstellen. Aber sind Sie auch ein SIEDLER-Fetischist, dass Sie dieses Spiel unbedingt haben müssen?
Wolfgang Friebe
AURIPOLIS von Julian Frinken und Florian Gulden (Grafik) für 3 oder 4 Personen, Medienverbund Donaukurier, Ingolstadt 1999, 34,90 DM
Mittwoch, 21. Juni 2000
Dienstag, 20. Juni 2000
+ Auripolis - Die Geschichte
Auf Doppel:Spiel:Kritik findet sich auch eine Rezension über dieses Spiel.
Siedeln in Ingolstadt
... wie es dazu kam und was daraus wurde ...
Wolfgang Friebe
Siedeln in Ingolstadt
... wie es dazu kam und was daraus wurde ...
"Eine glänzende Idee hatte die Schülerin des Leistungskurses Geschichte am Katharinen-Gymnasium, Juliane Frinken, für ihre Facharbeit 1998/99, betreut von Gudrun Steiner und Elisabeth Frenk: das Austüfteln eines Brettspiels zur Historie der Stadt Ingolstadt von 1250 bis 2000, also der Blütezeit der Herzogs- und Universitätsstadt.
Für die Computerunterstützung ihrer Vorlage fand Juliane in Florian Gulden, Absolvent des Scheiner-Gymnasiums, einen graphisch begabten Mitarbeiter. Beide studieren übrigens inzwischen jeweils die Fächer, für die sie bei der Entwicklung des Projektes besondere Begabungen gezeigt haben.
So also entstand das Spiel "Auripolis", wie die Humanisten in einer lateinisch-griechischen Wortspielerei Ingolstadt ("In-Gold-Stadt") nannten. Auf der Suche nach Beiträgen für das Ingolstädter "Stadtwerdungsfest" im Jahre 2000 erfuhren wir von der ungewöhnlichen "Facharbeit", die vor allem interessante Einblicke in die mittelalterliche und frühneuzeitliche Lebenswelt verschafft, und entschlossen uns, das hübsche Produkt lehrreicher Unterhaltung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Jung und Alt werden ihre Freude daran haben, spielerisch den immer wieder faszinierenden Spuren durch die Jahrhunderte unserer so geschichtsträchtigen, schönen und an Kostbarkeiten reichen Stadt zu folgen."
Wie finden Sie diese salbungsvollen Worte von Elin Reismüller, der Herausgeberin des Donaukuriers? Spricht sie nicht voller Stolz über Ingolstadt!? ... und ist sie nicht noch stolzer, AURIPOLIS erst möglich gemacht zu haben? Normalerweise wäre alles auf kleiner Ingolstädter Flamme gekocht worden, aber da sei das Internet vor. ... und so ging's los, in jenem Forum aller Selbstdarsteller, Profilneurotiker und begeisterter Surfer. Naja, sicherlich gibt's auch richtig anspruchsvolle Dinge im Netz, sonst wäre unser Chef-Surfer Ralf E. Kahlert nie und nimmer auf die Homepage von AURIPOLIS (www.auripolis.de) gestoßen. Sein Kommentar zur Homepage, die von der Online-Redaktion des Donaukuriers geschaffen wurde: "Sieht toll aus, sieht nach den SIEDLERn aus, müssen wir mal besorgen".
Der erste Anruf beim Donaukurier führte ins Leere. Das Spiel sei seit Weihnachten 1999 vergriffen, weitere Infos könne man nicht geben. Das war alles, und das, obwohl es die wunderhübsche Site im Netz gab. Wo war nur der Stolz der Herausgeberin geblieben? Dürre Worte gab's zu hören, sonst nix. Aber es passierte doch noch etwas: www.auripolis.de verschwand heimlich, still und leise aus dem Netz. Wie dumm, die Site nicht ausgedruckt zu haben. ... und was für ein Glück, denn "Forbidden - You don't have permission to access / on this server" fachte nur noch mehr die Neugier an. Die weitere Recherche im Netz führte noch zu einem Interview des Donaukuriers (www.clix.de/fun/interview/interview.php3?9) mit der 20-jährigen Autorin Juliane Frinken. Von dort aus gab es sogar noch einen Link zur AURIPOLIS-Homepage.
... und dann geschah das Unerwartete, die virtuelle Welt spülte ein ganz reales AURIPOLIS auf den hiesigen Spieltisch. Schon beim ersten Spielen war klar: AURIPOLIS ist ein ganz naher Verwandter der Siedler, sozusagen ein Nachfahre aus direkter Linie. ... und endlich kam auch mehr vom Donaukurier. Zeigten sich die unteren Chargen recht zugeknöpt, offenbarte Herr Sander ein paar Details. 5000 Stück habe man gemacht, die alle innerhalb von drei Wochen im Weihnachtsgeschäft anno 1999 in Ingolstadt abgesetzt worden sind. ... und natürlich habe man sogar einen Patentanwalt eingeschaltet. Für die Zukunft gedenke man nicht, weitere Spiele aufzulegen. Warum wohl nicht?! In Sachen Kosmos war dann von ihm nichts mehr zu erfahren. Nur noch dies: Im Januar 2000 hat es in Ingolstadt noch einen Errata-Zettel zur Spielanleitung gegeben. Der Hinweiszettel ist auch bitter nötig, denn die AURIPOLIS-Regel ist wirklich schlecht. Schließlich haben sich auch noch Fehler bei der Produktion eingeschlichen, die damit halbwegs ausgebügelt werden konnten.
Beim Stammvater der Familie hat man offensichtlich schnell von der SIEDLER-Nachahmung erfahren. Nachdem sich die Anwälte der Beteiligten ausgetauscht haben, war die Sache offensichtlich schnell vom Tisch. Den Ingolstädter wurde nahegelegt, keine weiteren Spiele mehr aufzulegen. Juliane Frinken, die im Clix-Interview nur verschämt als Enwicklerin von AURIPOLIS beschrieben wird, versteht die ganze Sache nicht. Bei so einer kleinen Auflage und dazu noch der regionale Bezug! Schließlich hatte sie schon 1998 beschlossen, für die Schule eine etwas andere Facharbeit im Fach Geschichte zu erstellen. Statt eines trockenen Textes sollte es ein Spiel über die Geschichte Ingolstadts werden. Also machte sie sich im August/Septemer 1998 daran, die Fakten und den historischen Hintergrund über ihre Heimatstadt zu sammeln. Ihr Wissen hat dann auch seinen Niederschlag in den Ereigniskarten gefunden. Der Zeitraum der Ereignisse beschränkte sich Anfangs auf die Jahre 1250 bis 1813. Im Oktober wurde dann die Idee ausgearbeitet und zusammen mit ihrem Grafiker in drei bis vier Wochenenden nach Weihnachten 98 fertiggestellt. ... und für das "Stadtwerdungsfest" produzierte der Donaukurier einige Teile von AURIPOLIS im eigenen Haus und bei Scheer Spiele, ebenfalls aus Ingolstadt und gleichzeitig auch SIEDLER-Produzent. Eine wesentliche Änderung wurde aber noch vorgenommen. Die Ereigniskarten reichen jetzt sogar bis 1990: "Im Juli 1990 erreicht die Einwohnerzahl Ingolstadts 100000. Damit wird die Stadt zu einer Großstadt." Herzlichen Glückwunsch.
Wolfgang Friebe
AURIPOLIS von Julian Frinken und Florian Gulden (Grafik) für 3 oder 4 Personen, Medienverbund Donaukurier, Ingolstadt 1999, 34,90 DM
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