Donnerstag, 11. November 2010

Rezension: Die Speicherstadt

Stefan Feld: DIE SPEICHERSTADT für 2 bis 5 Personen, eggertspiele 2010, zuerst veröffentlicht in Fairplay 92

Hosen runter!

Schon wieder! Erst bei HAVANNA, jetzt auch bei diesem Spiel: Eine todsichere Strategie. Nein, Freunde, die wird hier nicht verraten. Aber ich kenne sie – nur zu genau. Ich weiß, wie man in der Speicherstadt wirtschaften muss, wie man durch die Jahreszeiten kommt. In Hamburg habe ich schnell dazu gelernt, was es heißt, als Kaufmann jede Widrigkeit zu fühlen.

Eigentlich ist man ja eher Bieter um Karten, damit um Waren, Aufträge und um Punkte, die einem am Ende zum Sieg gereichen. Man scheffelt Punkte … oder auch nicht. Aber man lernt. 1. Lektion: Die fünf Münzen Startkapital sind ein Vermögen im Gegensatz zu einer oder zwei Münzen, mit denen man sonst die Runden bestreitet. Geld ist knapp, sogar knapper als knapp. Und leihen kann man sich nix, deshalb lernt man gut hauszuhalten. Wo man einen seiner drei Arbeiter ins Lagerhaus schickt, will gut erwogen sein. Denn das Platzieren ist das A & O, die Position in der Schlange ist ebenso wichtig, wie die Länge der Schlange. Letzteres regelt den Preis, den der erste in der Reihe für die Karte aufbringen muss. Stehen zu viele an, steigt der Preis, oft in unbezahlbare Höhen, auf drei oder mehr Münzen. Wer bringt schon soviel auf, um an die Schiffsladung zu kommen, auch wenn man sie noch so dringend zur Auftragserfüllung benötigt. Also winkt man dankend ab, der nächste in der Schlange darf kaufen. Noch zu teuer? Fehlt einem dann das Geld, weil man in einer anderen Schlange ein viel größeres Kaufinteresse hat? Will man gar nicht kaufen, sondern nur den Preis in die Höhe treiben? Aber wenn der Zweite nicht für zwei Münzen kauft, dann kauft der Letzte in der Reihe die Karte für nur eine Münze. Will man das? Zwänge über Zwänge. Immer wieder: „Hosen runter!“

Was man auch tut, alles hat Vor- und Nachteile. Oft genug überwiegen die Nachteile, denn wer hier was macht, kommt dort nicht mehr zum Zug. Und je nach Kartenverteilung und Sitzreihenfolge, ob man vorne (eher schlecht) oder hinten (immer gut) sitzt, schwitzt oder grinst man. Kommt man an die Karte, kauft man billig ein, ärgert man nebenbei noch die anderen Kaufleute?

Und dann sind da noch die Brände, die in dem vorsortieren Kartenstapel nach dem Winter in jeder Jahreszeit und ganz am Ende auftauchen. Dagegen muss man sich mit Feuerwehrleuten – ebenfalls in den Lagerhäusern zu kaufen – wappnen. Am besten mit den meisten Feuerwehrleuten, dann gibt es sogar bei Bränden Pluspunkte. Niemals aber mit den wenigsten, dann hagelt es Minuspunkte. Oder sind die einem egal? Raushalten oder mitmischen? Wer sich um Feuerwehrmänner bemüht, wird weniger andere ebenso wichtige Karten kaufen können. Da entsteht während der Partie eine gewisse Schieflage, wenn jemand wegen der Brände weit nach hinten rutscht. Abgerechnet wird ja erst am Schluss.

Die wichtigste Lektion für Hamburger Kaufleute: Lasst die anderen bluten, quetscht noch die letzte Münze aus fremden Börsen. Wer die anderen nicht unter Druck setzt, sie nicht jede Münze zahlen lässt, hat in der Speicherstadt nix verloren. Gedankenloses Spiel führt allerdings zu reichlich Vorlagen und Abstaubern. Wer mit sehr ungleich starken Mitspielern spielt, wird niemals die Qualen eines Kaufmanns erleben. In so einer Runde wird man das Spiel als gar nicht so intensiv empfinden. Ist es aber doch! Es ist mir sogar ein bisschen zu anstrengend. Jede Ausgabe will wohl erwogen sein, jedes Einsetzen der drei Arbeiter in die Lagerhausschlangen soll Früchte tragen, jeder Punkt zählt.

Weil mir das Spiel eigentlich gut gefällt – mal abgesehen davon, dass ich es als ultra anstrengend empfinde, genau zu kalkulieren – verrate ich noch meine todsichere Strategie ... in den Ruin. Von allem ein wenig, aber nix richtig. Das führt unweigerlich zum Verlust der Partie, erst recht wenn man sich auf einen Kampf um Feuerwehrleute eingelassen hat und dann doch den Kürzeren zieht. Man muss sich entscheiden, entweder für oder gegen Feuerwehrmänner. Nützt aber oft nix, es hängt zu viel an der Spielweise der anderen Kaufleute, an der Kartenverteilung und an der Sitzreihenfolge. Ich habe noch jede Partie außer der allerersten verloren, also trage ich's mit Fassung. Bin nach jeder Partie eh' zu ausgelaugt, um eine Revanche zu fordern. Vielleicht finde ich ja noch die ultimative Siegesstrategie statt der sicheren Niederlage.

Wolfgang Friebe

1 Kommentar:

  1. Mir gefällt Die Speicherstadt sehr gut. Der Handelsmechanismus ist immer wieder spannend. Aber: Man muss in diesem Spiel auch verzichten können!

    AntwortenLöschen

Vielen Dank für Ihren Kommentar.

Nur noch einen (kurzen, längeren, langen) Augenblick, dann schalte ich Ihren Kommentar (bestimmt, vielleicht, nie) frei.

Gänzlich anonyme Kommentare veröffentliche ich nicht.