Harald Bilz ist am 29.08.16 überraschend verstorben. Er wurde nur 57 Jahre alt.
Für mich war er ein eigenwilliger, aber sehr besonderer Leuchtturm der Szene. Er wird mir als Gesprächspartner fehlen.
Ein Nachruf erscheint in der Fairplay 117.
Gemischtwarenladen oder Spielekonzern?
Damals, in meiner Kindheit, gab es den Laden von Tante Fillis. Oder hieß sie Phyllis? Egal, dieser Laden war ein Magnet. Dort gab es alles, wirklich alles, und für uns Kinder auch in kleinsten Mengen. So eine Art „Bude“ mit Kolonialwaren, so hieß das damals – an der Hauswand stand's, die Farbe blätterte schon ab. Und alles, naja fast alles gibt es auch von den Heidelbergern, manchmal auch zu kleinen Preisen, jedenfalls während der Spieletage in Essen. Jeder, der schon mal dort war, kennt den Stand der Heidelberger. Abgezäunt, mit einem Eingang und einem Ausgang. Wenn es gar zu voll wird, wird sogar der Zugang abgeriegelt. Dort liegt alles gestapelt, auf Paletten, so wie beim Discounter. Spiele, hiervon und davon, meistens billich, billich, billich. Ein echter Messemagnet.
In Essen wird direkt verkauft und auch verramscht. Dazu wurde letztes Jahr jede freie Fläche in der Halle 9 genutzt. Wenn man in die Halle herunter geht, links neben der Treppe, liegt das Logistikzentrum der Heidelberger. Ich war einmal drin. Bei den Mengen an Spielen dort, muss deren Lager zu Hause leer sein, so leer, dass sich keine Maus mehr darin verstecken kann. Mit wie vielen LKW haben die das alles nach Essen geschafft? Alles wird verkauft, alles muss raus, selbst die die skandinavische Ausgabe von KÄSE MÄUSE CHAOS. Aber die Stände in Essen sind nur eine Facette der Heidelberger, Geschäfte laufen auf allen Ebenen, zumal neben den Verkaufsständen auch noch Verlagsstände für eigene Neuheiten in Essen stehen. Man könnte trotzdem meinen, die Hälfte der Halle 9 gehörte 2008 den Heidelbergern.
Harald Bilz will – nach eigenen Worten – Geld verdienen. Schlimm, oder? Keine Spur Idealismus mehr, aber nur so kommen wir Spieler an ausgezeichnete Spiele. Man denke nur an die Spiele aus Tschechien, an SPACE ALERT und GALAXY TRUCKER. Oder das Wiederauferstehen von Moskito Spiele mit dem ausgezeichneten TRIBUN. All das läuft nur mit oder wegen der Heidelberger. Mit diesem Ansatz klappt es doch gut, denn wer Geld dafür bekommt, liefert auch pünktlich. Harald Bilz sind auf jedem Fall die Menschen lieber, auf die er sich verlassen kann. Nur auf Idealismus, so scheint es bei ihm durch, kann man nichts bauen, jedenfalls nicht auf Dauer und um davon zu leben.
Aber als Idealist hat er mal angefangen. Damals, vor ewigen Zeiten – im Team mit Gutbrod und Kröhn ... als Harald Bilz noch Co-Autor war. Was waren das für Spiele? Ich erinnere mich noch gerne an das originelle PFUSCH, bei dem Knete eine große Rolle spielte. Richtige Knete, in der entweder Holzklötzchen waren oder nicht, gepfuscht wurde oder eben nicht. Ein Spiel mit hintergründigem Witz. Ob die Knete wohl schon eingetrocknet ist? Oder TOURISTEN-NEPP, ein eher schräges Spiel, bei dem die Macher sicherlich mehr Spaß am Spielemachen hatten, als alle Spieler beim Spielen. Der gelbe Koffer hat auf jeden Fall wegen seines ausgefallenen Inhalts einen Stammplatz in meiner Sammlung. Oder das total schräge, aber ganz nette NEOLITHIBUMM, bei dem Kieselsteine gestapelt werden müssen. Die Schachtel hat ganz schön Gewicht. Aber diese Zeiten sind vorbei, es geht nicht mehr spinnert zu. Zumal es damals finanziell zeitweilig richtig eng geworden ist.
Das es wieder aufwärts gegangen ist, dafür sorgte und sorgt vielleicht auch Petra Becker – wie Harald Bilz frei eingesteht – das Arbeitstier der Firma. Es gibt viel zu tun, nicht nur mit Handel und Verlag. Die Heidelberger haben sich sogar etwas für ihre Auszubildenden überlegt, für deren Bildung sie sorgen. Im Büro steht eine kleine Auswahl an Literatur. Wer immer sich ein Buch dort ausleiht, es liest und dann ein paar einfache Fragen beantworten kann, wird mit 50 € belohnt. Das Ergebnis … nix, null, nada, keiner liest – auch für 50 € nicht. Ob die Azubis wenigstens spielen, oder ob für sie Spiele nur Ware sind? Auch der Gesundheitsschutz wird groß geschrieben. Wer bei der Arbeit, auch in der Pause nicht raucht, bekommt ebenfalls 50 €. Und falls jemand die Mittagspause zu Hause verbringt, kontrolliert Petra Becker den Rückkehrer. Sie riecht an den Mitarbeitern … „Quatsch, das tust du nicht!“ sagt der Bilz. Ob er's nur nicht weiß? So wie er nicht weiß, welchen Beruf die Azubis genau erlernen. Groß- und Außenhandelskaufmann? Kommunikationsdesigner? Man merkt, Harald Bilz hat seinen Laden im Griff. Wie viele Mitarbeiter? So 15 … vielleicht, wahrscheinlich, oder auch nicht. Trotzdem läuft der Laden, vielleicht auch wegen der Arbeitsteilung. Petra Becker arbeitet und Harald Bilz kennt Hans und Franz, schafft Kontakte und hat alle lieb – sagt er jedenfalls. Und dann gibt’s da ja eigentlich noch einen dritten Eigentümer. Peter Gutbrod hat allerdings kein Interesse mehr an Spielen, arbeitet aber dann und wann noch mit.
So entsteht ein „Spielekonzern“ aus Einzelhandel, Großhandel, Distribution und Verlag. Als Einzel- und Großhändler nimmt Heidelberger jedes Spiel in den Verkauf, ist für jeden Einzelhändler erreichbar. Das ergibt die für den Großhandel übliche Marge. „Ist nicht arg viel, da wird man nicht reich von.“ Sehr viel intensiver ist der Einsatz für die Verlage, die von den Heidelbergern vertrieben werden oder für deren deutsche Teilauflage sie sorgen. Hier arbeitet Heidelberger auch als Redaktion und Pressestelle, bringt sich für die Verlage ein, redet aber auch beim Programm mit. Alea-Spiele laufen über Heidelberger, aber auch Truant, Ulisses, Moskito … So eine enge Zusammenarbeit erhöht natürlich die Marge. Petra Becker und Harald Bilz wollen ihren Laden, ihr Prämienprogramm für Leser und Nichtraucher schließlich am Laufen halten.
Und dann gibt es ja noch den Heidelberger Spieleverlag und die Co-Produktionen. Mal produziert Heidelberger, und die Partner-Verlage aus dem Ausland kaufen die Spiele oder auch umgekehrt. Oder die Heidelberger geben Lizenzen und die ausländischen Partner produzieren selbst. Oder Heidelberger übernimmt komplett die deutsche Ausgabe. Da sind alle möglichen Mischformen denkbar, je nachdem wie gut und wie eng man mit den in- und ausländischen Verlagen zusammen arbeiten kann. Fantasy Flight ist hier ein großer Partner. Das ist sicher auch eine Frage der Chemie, aber Harald Bilz hat ja alle lieb, das wissen wir ja schon. Für diese Co-Produktionen ist Harald Bilz immer auf der Suche nach neuen interessanten Spielen. In Essen hält er danach Ausschau, dort werden die ersten Kontakte angebahnt und wird auch mal über den Tellerrand geschaut. Was gibt es in anderen Bereichen, was wird woanders so „gespielt“? Nicht nur mit Brett und Karten?
Deshalb ist die Bandbreite der Heidelberger Spiele so groß. Vom mehrstündigen Strategiekracher bis zum Party-Spiel für größte Spielegruppen, der Katalog ist vielfältig und bunt. Man ist breit aufgestellt. Das kann sich der Verlag offensichtlich gut leisten, weiß doch Harald Bilz aus seiner prähistorischen Vergangenheit, was Selbstbeschränkung bedeutet. Damals, vor Jahrzehnten, lagen seine Spiele alle auf einer Linie. Er und sein Verlag spielten eine bestimmte Rolle, waren auf diese Rolle festgelegt. Das Fossil hat aber geschäftlich längst die Rolle des Jux-Typen abgelegt und ist jetzt Chef. Wie gut man mit diesem Chef Kirschen essen kann, vermag ich nicht zu sagen. Sicher pflastern auch einige Leichen seinen Weg. Kollege Heller weint immer noch dem Geld für sein Abo für die Spielzeit hinterher. Kurz nach seiner Zahlung stellte das Blatt sein erscheinen ein, und alle Abonnenten guckten in die Röhre. Aber wegen dieser Erfahrungen und bei der Bandbreite seiner Geschäftskontakte muss der Mann ungeheures Verhandlungsgeschick und auch Durchsetzungsvermögen mitbringen. Oder er setzt auf seine alte Strategie, die ich selbst schon oft genug am eigenen Leibe erfahren habe: Ein Bilz sagt mehr als tausend Worte. Mir war nach solchen Gespräche immer schwindelig ...
Würden Sie gerne bei den Heidelbergern arbeiten, damit aus dem Gemischtwarenladen ein Konzern wird? Ich kenne Sie, Sie wollen doch nur die Prämien kassieren. Bücher lesen Sie sowieso und rauchen tun Sie auch nicht. Aber Sie sollten Spiele auch als Ware sehen, dann dürfen Sie bei den Heidelbergern in die Lehre gehen.
Wolfgang Friebe
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