Was steckt denn da für ein Spiel zwischen den beiden Stapeln? Nur der weiße – gänzlich unbeschriftete - Deckel ist sichtbar. Schon klar, es dürfte sich um ein Perlhuhn-Spiel handeln. Davon habe ich in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts ein paar mehr Spiele angeschafft, direkt beim Verlag in Göttingen bestellt oder in Essen gekauft. Dass die Edition Perlhuhn einen Stand auf den Essener Spieletagen hat, ist lange vorbei. Damals waren deren Spiele sehr en vogue, waren in etwa das, was heute Crowdfunding-Spiele für die Szene ist. Die Spiele vom Perlhuhn-Verlag waren ja auch ausnehmend exotisch. Keine Schachtel, sondern eine Rolle. Kein Spielbrett, sondern bedrucktes (Kunst)Leder. Nicht bunt, oft schwarz-weiß. Und immer mit so einem gewissen künstlerischen Touch. Dafür haben der Autor Reinhold Wittig und sein Sohn gesorgt.
Spiele der Edition Perlhuhn waren damals der Insidertipp in der „belesenen Szene“, wurden und werden die Spiele doch regelmäßig in der Spielbox abgefeiert. Deshalb konnte ich AUF FOTOSAFARI IN OMBAGASSA nicht links liegen lassen. Als Student habe ich dafür richtig viel Geld auf den Tisch gelegt …
Der Schluss, dass Reinhold Wittigs Spiele eher schön als gut sind, kam mir damals aber nicht in den Sinn. Dank professioneller Fürsprache in der Spielbox war ich gewissermaßen verblendet. Erst sehr viel später, nach reichlich Spielerfahrung mit Perlhuhn-Spielen, erfuhr ich damals von einem Spruch Ingo Faustmanns. In seiner Spielkunde-Information, einer Vorläuferzeitung der Fairplay, prägte er den Spruch: Spiele in der Rolle spielen keine Rolle. Hat er recht?
KOPERNIKUS hatte sich über Jahre ganz unauffällig zwischen zwei Stapeln Spiele im Regal versteckt. Ist ja schließlich ein Sammlerstück und hat sogar eine Neuauflage bei Gerhards Spiel und Design erlebt. Könnte man ja mal wieder heraus holen … Gesagt getan, meine Donnerstagsspieler kommen in den Genuss dieser Rarität. Und was machen diese Banausen? Sie brechen ab, KOPERNIKUS ist ihnen zu doof. Und ich hätte es eigentlich wissen müssen, denn schon 1996 habe ich eine Rezension geschrieben … KOPERNIKUS
In den Sternen liegt das Leid
Merken Sie das nicht auch 'mal? Dass Sie sich beim Spielen schütteln müssen? Im positiven Fall wäre es ein angenehmes Kribbeln vor lauter Wonne, was zugegebenermaßen bei vielen Spielen nicht vorkommen wird. ...oder sind Ihre geliebten Spiele tatsächlich schon zum Fetisch aufgestiegen?! Ihnen jagt es doch wohl noch keine Schauer über den Rücken, wenn sie frische folienverpackte Spiele entjungfern? Wirklich nicht? Vielleicht gehören Sie ja auch zu jenen Spielern, die sich wegen lauter durchlittener Qualen an einem Spiel ergötzen können? Ist es nicht richtig herrlich, wenn ein kollektives lustvolles, gar quälendes Stöhnen durch die Spielrunde geht, nur weil ein Spieler sehr zu aller Schaden einen - absolut falschen - Zug macht. Wenn Sie zu dieser Gattung Spieler gehören, dann hat Reinhold Wittig genau das richtige Spiel für Sie. Da staunen Sie! Ich wusste bis dato auch noch nicht, dass Edition Perlhuhn sich einer ansonsten unberücksichtigten Randgruppe unter uns Spielern annimmt.
… also öffnen Sie die obligatorische Rolle und breiten den Skai-Plan aus. Wenn Sie Glück haben, können Sie gleich noch Lösemittel schnüffeln und sich völlig „high“ dem Spiel hingeben. KOPERNIKUS heißt das gute Stück. Vier Planetenspielsteine werden über konzentrische Bahnen getreu des Kopernikanischen Weltbildes um eine feste Mitte bewegt. Als Spieler hat man die Aufgabe, bei bestimmten Planetenkonstellationen ein Photo zu schießen ... Nein, das stimmt nicht ganz, man muss nur die passende Karte ablegen. Sollten Sie jetzt an Wittigs gelungene FOTOSAFARI IN OMBAGASSA denken, liegen Sie gar nicht verkehrt. Letztlich ist KOPERNIKUS nichts anderes als FOTOSAFARI - LIGHT, alles dreht sich allerdings nur noch um genau ein Wasserloch. Gewürfelt wird auch nicht mehr. Leider hat KOPERNIKUS deshalb auch nicht mehr die Fülle an Spielmaterial, es ist beileibe nicht mehr so extraordinär.
Ach ja, die Photos. Natürlich hat man auch wieder Auftragskarten, vier Stück an der Zahl. Diese quadratischen Kärtchen ähneln doch sehr Schießscheiben, mit schwarzen Planeten als Einschusslöcher. Die Karten müssen ständig überprüft werden, ob sich nach einem Zug nicht gerade eine vorgegebene Planetenkonstellation auf dem Spielfeld eingestellt hat. Ist die Übereinstimmung gegeben, darf sie abgelegt werden. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob man selbst oder ein anderer die Konstellation herbeigeführt hat. Schluss ist, wenn der erste 10 Karten abgelegt hat.
Um die Qual bei KOPERNIKUS zu steigern, hat der Autor dafür gesorgt, dass immer nur einer der vier Planeten-Steine um genau ein Feld (von insgesamt vier Feldern pro Umlaufbahn) im Uhrzeigersinn weitergezogen werden darf. Da liegt es irgendwie auf der Hand, dass mindestens einem Spieler dieser Zug überhaupt - ganz und gar nicht, total, aber bestimmt - nicht passen wird. Eine in Ansätzen für einen Spieler machbare Konstellation wird immer auseinandergerissen werden. Besonders schöne spielerische Momente ergeben sich, wenn sich gleich drei andere vor Qual ob des eigenen Zuges winden. Da hat man's doch wieder genau getroffen ... Na, na, wer wird sich da vor Wonne schütteln?! Leider kommt man aber auch in die Position des Leidenden: Immer dann wenn ein anderer einen Zug macht und man dadurch hilflos ansehen muss, was man gerade noch selbst den anderen angetan hat. Da bleibt nur noch ein gequältes Lächeln. Trotzdem schafft es jeder doch immer wieder, eine seiner Karten loszuwerden. Irgendwie ermutigend, trotz aller quälender Momente ein Siegergrinsen aufzusetzen und es den anderen zu zeigen.
Ich merke schon, die Frage liegt Ihnen auf der Zunge: Ist KOPERNIKUS ein gutes Spiel? Spielen Sie's doch selbst! Sie werden entdecken, dass auch in Ihnen ein Masochist, wenn nicht sogar ein Sadist steckt. Und je mehr Masochisten am Spiel beteiligt sind, desto größer der Lustgewinn. Viel Spaß beim Quälen und Quälen lassen...
Wolfgang Friebe
Reinhold Wittig: KOPERNIKUS für 2-4 Spieler bei Edition Perlhuhn 1991
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