Montag, 23. Februar 2004

+ Gülle Gülle

Bauernalltag

Dieses Spiel stinkt nicht, weder leicht säuerlich noch stechend. GÜLLE, GÜLLE bleibt geruchlos. Ein guter Landwirt merkt nichts vom Gestank, wenn seine Gülle aus dem Fass spritzt. Wofür gibt es vollklimatisierte Treckerkabinen? Nur ein Tropfen Gülle in die Schachtel, und das Spiel wäre authentisch. So zeigt sich der bäuerliche Alltag von seiner geruchlosen, aber um so eintönigeren Seite. Runde um Runde versteigern, Acker umbrechen, versteigern, Gülle aufbringen, versteigern, Mais ernten ... Nach drei Runden beginnt die Schose von vorn. Jedes Tagwerk beginnt mit der Auktion der obersten Karte: Kuh oder Acker. Bezahlt wird mit Maiskolben. Geld kennen unsere Bauern sowieso nicht, allerhöchstens klagen sie darüber, keines zu haben. Der Tauschhandel lebt fort ...

Zurück zu bäuerlicher Wirklichkeit. Mit nur vier Maiskarten startet jeder Landwirt, davon ersteigert man einen Acker und dann erst eine Kuh, umgekehrt geht’s natürlich auch, ist aber nicht ganz so gut. Die Kuh produziert Runde um Runde Gülle, die man ohne Acker nicht unterpflügen und deshalb stapeln muss. Mit Acker und Kuh wäre die Ertragssituation schon fast perfekt. In der ersten Runde pflügt man den Acker und nimmt nach getaner Arbeit für jede eigene - zunächst nur eine Kuh - eine Güllekarte. In der zweiten Runde wird mit der Gülle der Acker gedüngt, wobei zwei Güllekarten auf jeden Acker passen. Ein Bauer merkt rasch: Eine Kuh produziert in einem Zyklus genau eine Güllekarte zuviel, drei Karten passen nicht aufs Feld. Der zweite Acker muss her, denn ansonsten gilt: Gülleüberschuss bringt jede Menge Minuspunkte.

Um zwei Äcker richtig auszunutzen, braucht man vier Güllekarten. Eine Kuh schafft aber nicht mehr als drei. Bauern sind klug, weshalb sich jeder zwei Kühe und drei Äcker zulegt. Sechs Güllekarten reichen für drei Äcker. Nix bleibt übrig, der Kreislauf ist optimiert, der Rest ist Routine. Machen Sie nur nicht den Fehler, mehr Kühe oder mehr Äcker anzuschaffen, nur weil es sonst zu langweilig wird. Es ist Ihr Ruin! Glauben Sie mir, ich bin staatlich geprüfter Güllebauer. Halten Sie lieber den Stapel der Güllekarten im Auge, der im Verlauf ständig schrumpfen wird. Ist er aufgebraucht, endet das Spiel. Von diesem Stapel werden Kühe mit Gülle versorgt. Durch Ernten wird aber immer mehr Gülle zu Mais umgewandelt und dem Stapel entzogen. Nur wenn Mais als Zahlungsmittel eingesetzt wird, kommt es als Gülle wieder zurück auf den Stapel. Wozu noch investieren?

Dann kommts aber knüppeldick für dumme Bauern. Gerade gegen Ende kaufen Großbauern teuer ein, müssen sehr viele Maiskolben in den Güllestapel zahlen. Sonst ist das Spiel zu Ende, bevor sie ihre überschüssige Gülle los geworden sind. Da wird gnadenlos überbezahlt, nur damit der Stapel der Güllekarten wieder wächst. Dieser ruinöse Preisanstieg dient einzig und allein dazu, noch einmal an die Reihe zu kommen, damit überschüssige Gülle auf die Äcker kommt. Einen kurzen Augenblick lodert ein Strohfeuer von Spielreiz auf ... aber wirklich nur ganz kurz!
Irgendwann ist dann aber doch Schluss mit lustig. Jede Güllekarte bei den Kühen wird von den Maiskolben auf der Hand abgezogen, ausgebrachte Gülle auf den Äckern zählt zum Glück nix. Wenn es Ihnen wirklich gelungen sein sollte, einen Überschuss zu erzielen, sollten Sie schleunigst Landwirt werden. Da haben Sie Perspektive. Ansonsten lassen Sie lieber die Finger von dieser drögen Landwirtschafterei. Sonst erleben Sie, wie mechanisch und wortkarg GÜLLE, GÜLLE gespielt wird. Sind Bauern wirklich so?

Auftraggeber für dieses Spiel ist der Deutsche Landwirtschaftsverlag. Schlecht ausgedacht von Thomas Fackler - optisch allerdings hervorragend von Ilja Sallacz in Szene gesetzt. Als Bauernfunktionär würd’s mir mächtig stinken, gerade weil das Spiel so steril ist. GÜLLE, GÜLLE spiegelt die Trostlosigkeit des Bauernjobs ganz real wider. Da halte ich es doch lieber mit den Türken, für die hat GÜLLE, GÜLLE eine handfeste Bedeutung: Auf Wiedersehen! Das weiß ich übrigens nur, weil ich schon DOLMÄTSCH gespielt habe.

Wolfgang Friebe

GÜLLE, GÜLLE von Thomas Fackler für 3-5 Spieler, DLV-Verlag 2003

Zuerst veröffentlicht in der Fairplay

Mittwoch, 12. November 2003

Rezension: Labyrinth von Steffen-Spiele "geht"

Selbst zu verpacken

Sooo geht das nicht! Sich in die hinterste Ecke der Halle verkriechen und klammheimlich so schöne Spiele anbieten. Und dann noch ein riesengroßes ... ohne Schachtel! Das gehört verboten, ist wider den Sammlermarkt. Wie soll ich denn dieses Spiel lagern. Etwa aufgebaut?! Soll ich es mir gar an die Wand hängen? Mein lieber Herr Mühlhäuser, statt Löcher zum Aufhängen zu bohren, hätten Sie sich besser um vernünftigen Staubschutz kümmern sollen. Wissen Sie nicht um die Gefahr? Staub, der sich in die Maserung des Holzes frist, Staub, der am Spielmaterial klebt, Staub, der in meine Lunge gelangt. Unverantwortlich! Dabei wäre die Lösung doch so naheliegend: Frischhaltefolie passt sich an, schützt vor Staub und gibt es in jedem Haushalt. Warum sonst hätte Jens Kappe sein RAILROAD DICE in Frischhaltefolie eingeschlagen?

Freitag, 22. Februar 2002

+ Racko

Denken Sie an Ihre Rente!

Wie alt sind Sie denn jetzt? Kümmern Sie sich schon um Alterssicherung und Riesterrente? ... und welche Spiele werden Sie spielen, wenn Sie alt, grau und tatterig sind? Bekanntlich wird in der Zukunft alles wieder empfehlenswert, was Sie schon in jungen Jahren kennen und schätzen gelernt haben. Da muss man sich dann nicht mehr mit neumodischem Schnickschnack herumärgern. Blicken Sie zurück, an welche Spiele Ihrer Jugend können Sie sich noch erinnern? Irgendwelche Strategiehämmer, für die Sie in Studententagen noch die Zeit hatten? Richtige Klopfer von Avalon Hill, für die Sie Stunden Regeln lesen und erklären mussten? Vergessen Sie’s, diese Dinger brauchen volle Konzentration für jedwedes Regeldetail und eingespielte Feinmotorik fürs Counterschieben. Schaffen Sie das noch mit 60 und noch mehr Jahren? Denken Sie einfacher, greifen Sie zu RACKO.

„Spannendes Kartenspiel für jung und alt“

RACKO hat eine grandiose Zukunft, gerade weil es so alt und einfach ist. Leider ist es zurzeit nicht zu bekommen, aber es wird sich bestimmt ändern. Denken Sie nur an die Entscheidungsträger in der Spielebranche. Die wenigen Damen und vielen Herren sind und werden immer älter, verlangen nach altersgerechter und vor allem einfacher Kost. Ich weiß nicht, was die Verlage dem Wahlverein empfehlen, ich empfehle Ihnen das gute alte RACKO. Die Jury kennt und versteht RACKO, gerade weil die meisten Juroren schon so lange auf ihren Stühlen kleben. Keiner von ihnen müsste es wirklich spielen, jeder könnte gleich sagen: Ja, RACKO ist gut und einfach, ein verdientes Spiel des Jahres. Aber erst so um 2010, wenn die Mehrzahl der selbst ernannten Entscheidungsträger jenseits der 60 oder gar 70 ist, hat das Spiel eine reelle Chance auf den Titel. Aber müssen und wollen Sie so lange warten, bis endlich auch die Verlage begriffen haben, welche Perle da im Verborgenen schlummert. Besinnen sich gar die Ravensburger auf ein Schätzchen aus längst vergangenen Programm?

„Bekannt und beliebt in der ganzen Welt“

Angefangen haben muss es irgendwann in den Sechzigern (oder schon in den Fünfzigern?), als das Spiel unter Lizenz von Milton Bradley Co. (under Berne & Universal Copyright Conventions) über den großen Teich kam. Anfangs hieß RACKO noch RACK-O und erschien in einer Schachtel mit Schottenkaro. War das die erste Ausgabe in Deutschland? Ich weiß es nicht, denn es gab auch noch eine Schachtel mit einer spielenden Familie auf dem Cover. Inhaltlich unterscheiden sich diese beiden Ausgaben anscheinend nicht.
Fragen Sie sich wirklich gerade, wie RACKO gespielt wird? Dass Sie sich nicht schämen, denn RACKO ist ein Klassiker. 60 Karten mit Nummern von 1 bis 60 werden gemischt und einzeln an jeden der maximal vier Mitspieler ausgegeben. Die stecken Karte um Karte in ihren Kartenständer, gerade so wie die Karten kommen. 10 Karten passen hinein. Wenn’s schlecht läuft, steckt ganz oben die 27 und ganz unten die 58, dazwischen steckt alles wild durcheinander. Haben sich alle über ihr Chaos beklagt, muss sortiert werden. Keinesfalls dürfen Karten innerhalb des Ständers vertauscht werden, sondern nur über den Umweg über den Ablagestapel. Hoffentlich ist was Passendes dabei, damit Sie eine aufsteigende Reihe von der kleinsten zur höchsten Karte hinbekommen. Natürlich müssen die Kartenwerte dabei nicht direkt aufeinander folgen. Von der 4 über die 13 ... bis hinauf zur 58 ist eine durchaus legale Anordnung. Kluge RACKO-Spieler planen ihre Kartenfolge mit der nötigen Sicherheit, damit zwischen zwei Karten mehrere Möglichkeiten bestehen, eine passende Karte einzustecken. Sehr riskant wäre es, wenn zwei Plätze nach der 21 schon die 23 folgen würde. Wie hoch sind wohl die Chancen, die 22 zu bekommen? Jede Karte ist schließlich nur ein Mal vorhanden.
Manchmal kann man an dem gequälten Stöhnen eines Mitspielers erkennen, dass da gerade unerreichbar für ihn eine Karte auf den Ablagestoß gewandert ist. So einem Spieler kann man auf der Stirn geschrieben lesen, dass er sich doch sehnlichst das Klopfen vom ROMMÉE wünscht. Aber der Spieler vor ihm muss eine Karte auf die heiß erwartete 22 legen. Weg ist sie! ... und wer zuerst eine aufsteigende Reihe in seinem Halter hat, ruft RACKO und gewinnt 75 Punkte. Alle anderen erhalten jeweils fünf Punkte für jede Karte, die von unten nach oben im Halter in eine durchgehende Reihe passt. Nur 10 Punkte gibt’s, wenn nach der 1 immer noch eine 45 steckt, dann aber die 10, 15, 26 ... Die 45 stört doch ganz empfindlich das Gefüge. So, jetzt wissen Sie, wie RACKO geht. Wirklich ...

„Leicht zu erlernen“

Die schönste Ausgabe1976 schlug dann erneut wieder die Stunde von RACKO, das Spiel erscheint in der legendären Ravensburger Traveller-Serie – und diesmal ohne Bindestrich und ohne Lizenzvermerk. Dafür hat sich das „Grafische Atelier“ der Ravensburger einige Gedanken zur besseren Übersicht gemacht und die bisher schönste Ausgabe geschaffen. Statt nur einer tristen Zahl und eines Strichs an immer derselben Stelle, zeigen in dieser Ausgabe die Karten einen Farbbalken und eine Zahl. Der Balken wird um so länger, je größer die Zahl ist. Da erkennen Sie, jeder Rentner und selbst die Jury, wie es um die Reihenfolge in Ihrem Ständer bestellt ist. Wenn vorne noch ein langer roter Balken steckt, müssen Sie noch was tun. Wer will, kann sogar noch zwei Varianten ausprobieren. Mir ist die Traveller-Ausgabe die liebste, angemessene Schachtel und gutes Design sind ausschlaggebend. Nur das Glas Wein auf dem Cover wäre heute wohl nicht mehr tragbar.
Jahre später, genauer 1986, geschah das Unfassbare. Eine Neuauflage erscheint: rote Schachtel mit 75 Zahlenkarten, Ständer mit 12 Plätzen sowie 14 Ereigniskarten und 7 Jokern. Ereignis- und Joker-Karten bereiten diesem neuen RACKO den Garaus, das Hoffen und Bangen auf die richtige Karte geht verloren. RACKO ist viel zu einfach geworden. Joker, sind doch nur was für Warmduscher und Weicheier! Kartentausch innerhalb des eigenen Ständers – wie billig! Aussetzen, warum? Kartenhalter-Tausch, was soll der Quatsch? Zum Glück kann man diese aufgesetzten Karten ja einfach aussortieren und normales RACKO spielen, dann sogar mit 12 Karten.

„Vergnüglich zu spielen“

Nun ja, werden Sie vielleicht mäkeln, ist diese Sortiererei wirklich so gut? Gibt’s nicht ein paar bessere Spiele? Klar, aber ich habe selten ein Spiel erlebt, bei dem unterschiedliche Generationen so viel Spaß am Spiel haben. Vielleicht sollte ich es bald mit den Entscheidungsträgern für so manches Verlagsprogramm spielen, oder gar gleich mit der Jury – vielleicht in der neuesten Version als RACK’O von den Ravensburgern und mit der Grafik von Franz Vohwinkel.

Wolfgang Friebe

RACKO immer für 2-4 Personen, immer Ravensburger und noch immer vergriffen, zuerst erschienen in Faiplay 59


Zuerst veröffentlicht in der Fairplay

Montag, 17. September 2001

+ Meander

Kunst oder Spiel?

Es gibt schon Unterschiede unter den Spielen der Welt. Die meisten Spiele sind nur Spiele, wirklich zu nichts weiter als zum Spielen gedacht, reine Gebrauchsgüter. Manch' andere halten sich für etwas Besseres, ein paar ausgefallene sogar für Kunst. ... zumindest sind sie's in den Augen ihrer Autoren und Fans! Reinhold Wittig mit seiner Edition Perlhuhn dürfte der Meister dieser Klasse sein. Sehr eindrucksvoll ist sein WALKABOUT: ein paar Steine, Äste und Kängurus ästhetisch auf dem obligatorischen Skaiplan gruppiert, schon manifestiert sich Kunst für die kleine Brieftasche. Glauben Sie's nicht? Vergleichen Sie die Wittigschen Preise ruhig mit denen der richtigen Kunst. Obwohl, gemessen am Spielwert sind 65,- DM doch eine echte Herausforderung. Für weniger Geld gibt's deutlich spielenswertere Spiele. Aber das Spiel selbst zählt ja auch nicht wirklich, es geht sowieso mehr um die Idee und deren künstlerische Umsetzung.
In Augenhöhe mit der Wittigschen Kunst gibt's nicht viel. Ab und zu tauchen findige Spielemacher auf, die sich für Künstler halten. Deren Kunst besteht in der Regel darin, eifrigen Spielesammlern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Geringer Gegenwert gut verpackt, schon rollt viel echtes Geld für vermeintliche Kunststücke. Richtige Spieler sind vor solchen Machenschaften natürlich eher geschützt. Erinnert sich noch jemand an die weißen Boxen von Warfrog? Diese Negation der Kunst offenbart, wie Kunst wirklich funktioniert. Illusion ist alles, man muss nur bieten, was sich Käufer wünschen, z.B. Seltenheit und teure Exklusivität. Spielesammler sind betriebsblind, sie wollen gar nicht sehen, was wahrhaftig geboten wird, sondern nur ihren Besitz fühlen und zu Hause ins Regal stellen.
Bei den allermeisten Spielen reicht es nie zur Kunst. Vielleicht sind sie zu perfekte Spiele im ursprünglichen Sinn oder einfach nur zu gewöhnlich, als dass sie den riesengroßen Schatten der Gebrauchsgüter verlassen könnten. Manche Stücke tun sich trotzdem hervor, vielleicht gerade, weil sie gar kein Spiel sind. Solche Stücke heißen Design, sind avantgardistisch gestaltet und morgen schon Kuriositäten. An diesen Stücken nagt der Zeitgeist schneller, als Mäuse an Wittigschen Pappröhren.

Ist es ein Spiel?

MEANDER gehört für mich in diese Schublade, denn anders - wenn nicht sogar gleichsam kurios - ist dieses "Spiel" definitiv. Es beginnt - erst recht - mit dem Material. Sie dürfen sich an einem äußerst zeitgemäßen und sehr minimalistischen Design erfreuen: Die riesige superflache und quadratisch rote Schachtel ist sparsam in Schwarz und Grau bedruckt, darin findet sich das massive und variable Spielfeld aus grauem und schwarzem Kunststoff. Sehr massiv, aber leider auch sehr trist. Gräben tun sich auf! ... und da sind natürlich auch noch 10 Kugeln aus glänzendem Metall in der Schachtel. Was wird nun gespielt? Natürlich rollen Kugeln durch die Gräben in den Spielsteinen, aber erst nachdem 25 Spielsteine im Rahmen auf dem Brett platziert sind. Denken Sie bei MEANDER an eine Kugelbahn?
Ja, aber wie kommt Bewegung in die Bahn? Dazu wird der Spielplan einfach aufgebockt, und jeder der beiden Spieler läßt fünf Kugeln rollen. Der eine von Nord nach Süd (oder umgekehrt), der andere von Ost nach West (oder umgekehrt). Man muss den Spielplan nur jedesmal neu aufbocken. Jeder hat fünf Eingänge ins Bahnlabyrinth, durch jeden wird eine Kugel geschickt. Kommen Sie am gegenüberliegenden Ausgang heraus? Oder kommen Sie in den Eckfeldern oder beim Gegner an? Keine ist auf Ihrer Seite angekommen? Dann haben Sie schon früher etwas falsch gemacht. Hätten Sie nicht besser diesen oder jenen Spielstein woanders hinlegen können? Sie haben doch nicht etwa das eigentliche Spiel verpasst und die Steine mit den Bahnen wider der Physik irgendwie abgelegt?
Deshalb rollen die Kugeln am Ende der Partie zur Kontrolle durch die Bahnen, ob sie auch wirklich so rollen, wie Sie es sich überlegt haben. Manchmal rollen Sie leider trotzdem nicht so. Kein System ist perfekt, MEANDER auch nicht. Vielleicht bremst ein Staubkörnchen oder eine überstehende Kante die Kugel? Vielleicht auch Ihr Atem? Vielleicht haben Sie falsch gedacht, als Sie einen Spielstein vom Haufen genommen und auf dem Spielfeld abgelegt haben. Haben Sie die vier unterschiedlichen Steine im Blick? Wenn Sie auf dem Haufen liegen, sehen Sie nichts als deren schwarze Rückseiten, Sie müssen schon einen Stein aufdecken. Ist es eine Kreuzung? Wie Sie die Kreuzung auch legen, keiner hat einen Nachteil und keiner einen Vorteil. Bei den Kurven sieht's schon ganz anders aus, wobei mir nicht klar ist, ob ich davon einen Vorteil habe, Ihre Bahn nach links und meine nach rechts abknicken zu lassen. Am besten gefallen mir die beiden unterschiedlichen Weichen. Für meine Kugel geht die Bahn geradeaus weiter, kommt also näher an die gegenüberliegenden Seite. Ihre Kugel wird ganz gemein umgelenkt. Da haben Sie eine schöne Aufgabe, die Kugel wieder auf den Heimweg zu führen.
Aus 25 Steinen ist die Kugelbahn im 5x5 Raster entstanden. Zuerst wird ein Stein ins Zentrum gelegt, an den angelegt werden muss. Ob über Eck oder Seite an Seite spielt dabei keine Rolle. Aber welchen Stein man auch ergattert, so großartig viel gibt's nicht zu überlegen. Die Frage heißt einfach nur: Wie lege ich den Stein zu meinem Nutzen und zu Ihrem Schaden? Eigentlich reduziert sich alles auf den Zufall, ob Kreuzung, Kurve oder Weiche gezogen wird. Eine Partie MEANDER ist deshalb schnell gespielt. War wohl doch nur eine Art Vorspiel. Gibt's einen Höhepunkt? Wenn die Kugeln rollen!? Das ist dann die Kunst: Nur echte Liebhaber bleiben bei der Stange.

Der Höhepunkt

Hätte ich mich nur nicht vor langer Zeit schon von GROOVY getrennt. MEANDER hat mich wieder auf die Spur dieses alten MB Spiels gebracht. Dummerweise habe ich es auf dem Flohmarkt verscherbelt. GROOVY und MEANDER haben viele Parallelen. In beiden Spielen rollen Kugeln durch ein Labyrinth, in beiden besteht das "Spielfeld" aus 5x5 Steinen, in beiden wird das Spielfeld gekippt. Nur spielt sich GROOVY nicht einmal schlecht. Ich habe es selbst wieder erproben können, Hermann sei Dank! Das Kugellabyrinth wird zwar nicht wie bei MEANDER von den Spielern errichtet, dafür können die bereits liegenden Steine im Laufe des Spiels gedreht werden. Gerade diese Drehungen geben GROOVY ganz neue Wendungen, und den Kugeln neue Bahnen. Auch entscheidet der Gegner mit, wie die Kugeln durchs Labyrinth flitzen. Er hat es nämlich in der Hand, mit wie viel Energie er das auf einer Halbkugel gelagerte Brett kippt. Die Ecke ist zwar klar, aber mit welcher Kraft und Geschwindigkeit er das dann macht, bleibt ihm überlassen. ... und vom Design kann GROOVY sogar mithalten, wenn man mal von der aufregenden Verpackung absieht. Die ist nämlich auch ganz Kind seiner Zeit. Das Photo mit den spielenden Kindern ist wirklich wunderbar. Wer weiß, vielleicht werden Sie MEANDER in 30 Jahren auch als Kind seiner Zeit entlarven. Aber werden Sie bis dahin den Spielreiz ergründet haben? Oder reicht Ihnen das Designerstück?

Wolfgang Friebe

MEANDER von für 2 Personen von Justus van Oel, Huib van Winkoop und Jac. Gofers, denkwerk en zwaartekracht, damals 60 Euro + Porto


Zuerst veröffentlicht in der Fairplay 57

Mittwoch, 21. Juni 2000

+ Auripolis - Das Spiel

... das Spiel ...

Ingolstadt - respektive AURIPOLIS - nähert man sich am besten mit dem Boot. ... und zwar jeder mit seinem eigenen Schiffchen. Natürlich will jeder zu Rohstoffen kommen, zu Salz, Wein, Eisen, Korn oder Holz, weshalb das Schiff mit diesen Waren beladen wird. Natürlich kommt keiner an eine bestimmte Ladung, da sei der zehnseitige Würfel und die Tabelle vor. Also würfelt jeder viermal, vergleicht Würfelwurf mit der Tabelle und deponiert die gewonnene Ladung im Ständer. Die Karten mit den Rohstoffen passen ja nun wirklich nicht ins Boot, weshalb der Ständer zwar nicht stimmig, aber doch funkional und einigermaßen schön ist. Nun denn, das Boot liegt mit all den Waren tief im Wasser, jetzt muss es vorwärts. Sie dürfen sich schon mal überlegen, mit welcher Geschwindigkeit sich Ihr Boot bewegen soll: mit 1/1, 1/2 oder 1/4 Geschwindigkeit. ... und Sie müssen sich auch noch überlegen, ob's vorwärts, rückwärts oder seitwärts gehen soll. Ist Ihre Entscheidung gefallen? ... dann würfeln Sie mit dem achtseitigen Würfel und schauen auf der Tabelle auf dem Spielplan nach, ob Ihr Schiff eins bis acht Felder auf der Donau zurücklegt. Leider, leider sind die Startpositionen nicht alle gleich gut, und außerdem sind die Zielfelder nicht gerade eindeutig gekennzeichnet. Zwar steht am Ingolstädter Ufer Ihr Handelshaus, aber an welcher Anlegestelle sich Ihr Handelshaus befindet, müssen Sie sich selbst zusammenreimen. Die Häuser liegen alle hintereinander am Ufer, so dass jemand den weitesten und ein anderer einen besonders kurzen Weg ins Ziel hat. ... und weil die Donau kein Kanal ist, verengt sie sich natürlicherweise von vier auf drei Spuren, was das Manövrieren auch nicht gerade vereinfacht.

Auch wenn Ihr Schiff noch unterwegs sein sollte, in Ingolstadt gibt's währenddessen genug zu tun. Immer, wenn eine Runde abgeschlossen ist, darf der jüngste Mitspieler eine Ereigniskarte vorlesen, die im Regelfall alle betrifft. Eingeleitet durch stadthistorisches Blabla folgt meistens etwas wie: "Ein Unrecht kann bestraft werden. Eine Weiterentwicklung der Rechte. Baue sofort eine Straße." Oder: "Steuer: Gib 1 beliebige Rohstoffkarte ab." ... und? Ist das schon alles?! Nein, denn wenn es Ihnen gelingen sollte, eine Bastion zu ergattern, dürfen Sie eine Straße Ihrer Mitspieler wieder abreißen. Ja, werden Sie denken, was ist denn das für ein merkwürdiges Spiel. Genau, deshalb spielen Sie ja bei AURIPOLIS eigentlich DIE SIEDLER. Nein, es sind aber nicht DIE SIEDLER VON NÜRNBERG, sondern DIE SIEDLER IN AURIPOLIS. ... auf einem festen Plan zwar und auch ohne Räuber, das ändert aber so gar nichts an der Tatsache, dass es doch DIE SIEDLER sind, die da an allen Ecken um die Ingolstädter Häuser lugen. Da zeigt sich die Qualität des Teuberschen Spiels, das selbst Operationen am offenen Herzen verträgt.

Eines lernt man bei AURIPOLIS sehr schnell; nämlich dass im Original der Räuber sehr wichtig für die Spielbalance ist. Mit der ganzen Hand voller Karten kann man bei AURIPOLIS einiges bewirken, es sei denn man verliert welche durch Ereigniskarten. Bei AURIPOLIS gibt's sogar Siebener-Chips, an denen zu siedeln aus Gründen der Statistik sicher sehr lohnenswert ist.

... und wenn AURIPOLIS als Spiel bestenfalls ein "geht so" verdient, wie schaut's dann mit dem Material aus? Da ist die quadratische Schachtel, bei AURIPOLIS offensichtlich einem babyblauen Schuhkarton für Kindergummistiefel entlehnt, da sind die nur anders benannten Rohstoffkarten und die Tabelle für die Tauschverhältnisse. Alles sehr SIEDLER-verdächtig. Eigentlich ist das Material ganz gut, denn alles ist professionell produziert und auf den ersten Blick auch wirklich schön anzuschauen. Aber praktisch ist es nicht, es zeigt sich doch deutlich, dass ein Zeitungsverlag noch lange kein Spieleverlag ist. Auf dem schwarz-weiß-grau-braunen Spielplan verlieren sich die nichtssagenden schwarz-weißen Rohstoff- und Zahlenchips. Auch die Grafik auf den Rohstoffkarten ist fürs Spielen nicht gerade prickelnd. ... und erst die Regel. Wenn ich nicht DIE SIEDLER schon gekannt hätte, hätte ich doch arge Probleme mit AURIPOLIS gehabt. Nicht umsonst gab's zum Spiel eine offizielle Errata, die in Ingolstadt verteilt wurde. ... aber weil Sie DIE SIEDLER ja in- und auswendig kennen, dürften die Ingolstädter Hürden für Sie kein Problem darstellen. Aber sind Sie auch ein SIEDLER-Fetischist, dass Sie dieses Spiel unbedingt haben müssen?

Wolfgang Friebe

AURIPOLIS von Julian Frinken und Florian Gulden (Grafik) für 3 oder 4 Personen, Medienverbund Donaukurier, Ingolstadt 1999, 34,90 DM

Zuerst veröffentlicht in der Fairplay 52

Dienstag, 20. Juni 2000

+ Auripolis - Die Geschichte

Auf Doppel:Spiel:Kritik findet sich auch eine Rezension über dieses Spiel.

Siedeln in Ingolstadt

... wie es dazu kam und was daraus wurde ...

"Eine glänzende Idee hatte die Schülerin des Leistungskurses Geschichte am Katharinen-Gymnasium, Juliane Frinken, für ihre Facharbeit 1998/99, betreut von Gudrun Steiner und Elisabeth Frenk: das Austüfteln eines Brettspiels zur Historie der Stadt Ingolstadt von 1250 bis 2000, also der Blütezeit der Herzogs- und Universitätsstadt.
Für die Computerunterstützung ihrer Vorlage fand Juliane in Florian Gulden, Absolvent des Scheiner-Gymnasiums, einen graphisch begabten Mitarbeiter. Beide studieren übrigens inzwischen jeweils die Fächer, für die sie bei der Entwicklung des Projektes besondere Begabungen gezeigt haben.
So also entstand das Spiel "Auripolis", wie die Humanisten in einer lateinisch-griechischen Wortspielerei Ingolstadt ("In-Gold-Stadt") nannten. Auf der Suche nach Beiträgen für das Ingolstädter "Stadtwerdungsfest" im Jahre 2000 erfuhren wir von der ungewöhnlichen "Facharbeit", die vor allem interessante Einblicke in die mittelalterliche und frühneuzeitliche Lebenswelt verschafft, und entschlossen uns, das hübsche Produkt lehrreicher Unterhaltung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Jung und Alt werden ihre Freude daran haben, spielerisch den immer wieder faszinierenden Spuren durch die Jahrhunderte unserer so geschichtsträchtigen, schönen und an Kostbarkeiten reichen Stadt zu folgen."
Wie finden Sie diese salbungsvollen Worte von Elin Reismüller, der Herausgeberin des Donaukuriers? Spricht sie nicht voller Stolz über Ingolstadt!? ... und ist sie nicht noch stolzer, AURIPOLIS erst möglich gemacht zu haben? Normalerweise wäre alles auf kleiner Ingolstädter Flamme gekocht worden, aber da sei das Internet vor. ... und so ging's los, in jenem Forum aller Selbstdarsteller, Profilneurotiker und begeisterter Surfer. Naja, sicherlich gibt's auch richtig anspruchsvolle Dinge im Netz, sonst wäre unser Chef-Surfer Ralf E. Kahlert nie und nimmer auf die Homepage von AURIPOLIS (www.auripolis.de) gestoßen. Sein Kommentar zur Homepage, die von der Online-Redaktion des Donaukuriers geschaffen wurde: "Sieht toll aus, sieht nach den SIEDLERn aus, müssen wir mal besorgen".
Der erste Anruf beim Donaukurier führte ins Leere. Das Spiel sei seit Weihnachten 1999 vergriffen, weitere Infos könne man nicht geben. Das war alles, und das, obwohl es die wunderhübsche Site im Netz gab. Wo war nur der Stolz der Herausgeberin geblieben? Dürre Worte gab's zu hören, sonst nix. Aber es passierte doch noch etwas: www.auripolis.de verschwand heimlich, still und leise aus dem Netz. Wie dumm, die Site nicht ausgedruckt zu haben. ... und was für ein Glück, denn "Forbidden - You don't have permission to access / on this server" fachte nur noch mehr die Neugier an. Die weitere Recherche im Netz führte noch zu einem Interview des Donaukuriers (www.clix.de/fun/interview/interview.php3?9) mit der 20-jährigen Autorin Juliane Frinken. Von dort aus gab es sogar noch einen Link zur AURIPOLIS-Homepage.
... und dann geschah das Unerwartete, die virtuelle Welt spülte ein ganz reales AURIPOLIS auf den hiesigen Spieltisch. Schon beim ersten Spielen war klar: AURIPOLIS ist ein ganz naher Verwandter der Siedler, sozusagen ein Nachfahre aus direkter Linie. ... und endlich kam auch mehr vom Donaukurier. Zeigten sich die unteren Chargen recht zugeknöpt, offenbarte Herr Sander ein paar Details. 5000 Stück habe man gemacht, die alle innerhalb von drei Wochen im Weihnachtsgeschäft anno 1999 in Ingolstadt abgesetzt worden sind. ... und natürlich habe man sogar einen Patentanwalt eingeschaltet. Für die Zukunft gedenke man nicht, weitere Spiele aufzulegen. Warum wohl nicht?! In Sachen Kosmos war dann von ihm nichts mehr zu erfahren. Nur noch dies: Im Januar 2000 hat es in Ingolstadt noch einen Errata-Zettel zur Spielanleitung gegeben. Der Hinweiszettel ist auch bitter nötig, denn die AURIPOLIS-Regel ist wirklich schlecht. Schließlich haben sich auch noch Fehler bei der Produktion eingeschlichen, die damit halbwegs ausgebügelt werden konnten.
Beim Stammvater der Familie hat man offensichtlich schnell von der SIEDLER-Nachahmung erfahren. Nachdem sich die Anwälte der Beteiligten ausgetauscht haben, war die Sache offensichtlich schnell vom Tisch. Den Ingolstädter wurde nahegelegt, keine weiteren Spiele mehr aufzulegen. Juliane Frinken, die im Clix-Interview nur verschämt als Enwicklerin von AURIPOLIS beschrieben wird, versteht die ganze Sache nicht. Bei so einer kleinen Auflage und dazu noch der regionale Bezug! Schließlich hatte sie schon 1998 beschlossen, für die Schule eine etwas andere Facharbeit im Fach Geschichte zu erstellen. Statt eines trockenen Textes sollte es ein Spiel über die Geschichte Ingolstadts werden. Also machte sie sich im August/Septemer 1998 daran, die Fakten und den historischen Hintergrund über ihre Heimatstadt zu sammeln. Ihr Wissen hat dann auch seinen Niederschlag in den Ereigniskarten gefunden. Der Zeitraum der Ereignisse beschränkte sich Anfangs auf die Jahre 1250 bis 1813. Im Oktober wurde dann die Idee ausgearbeitet und zusammen mit ihrem Grafiker in drei bis vier Wochenenden nach Weihnachten 98 fertiggestellt. ... und für das "Stadtwerdungsfest" produzierte der Donaukurier einige Teile von AURIPOLIS im eigenen Haus und bei Scheer Spiele, ebenfalls aus Ingolstadt und gleichzeitig auch SIEDLER-Produzent. Eine wesentliche Änderung wurde aber noch vorgenommen. Die Ereigniskarten reichen jetzt sogar bis 1990: "Im Juli 1990 erreicht die Einwohnerzahl Ingolstadts 100000. Damit wird die Stadt zu einer Großstadt." Herzlichen Glückwunsch.

Wolfgang Friebe

AURIPOLIS von Julian Frinken und Florian Gulden (Grafik) für 3 oder 4 Personen, Medienverbund Donaukurier, Ingolstadt 1999, 34,90 DM

Zuerst veröffentlicht in der Fairplay 52

Freitag, 31. Dezember 1999

Nirwana

Hier landet alles, was fehlgeleitet ist.
Zuerst veröffentlicht in der Fairplay