Montag, 17. September 2001

+ Meander

Kunst oder Spiel?

Es gibt schon Unterschiede unter den Spielen der Welt. Die meisten Spiele sind nur Spiele, wirklich zu nichts weiter als zum Spielen gedacht, reine Gebrauchsgüter. Manch' andere halten sich für etwas Besseres, ein paar ausgefallene sogar für Kunst. ... zumindest sind sie's in den Augen ihrer Autoren und Fans! Reinhold Wittig mit seiner Edition Perlhuhn dürfte der Meister dieser Klasse sein. Sehr eindrucksvoll ist sein WALKABOUT: ein paar Steine, Äste und Kängurus ästhetisch auf dem obligatorischen Skaiplan gruppiert, schon manifestiert sich Kunst für die kleine Brieftasche. Glauben Sie's nicht? Vergleichen Sie die Wittigschen Preise ruhig mit denen der richtigen Kunst. Obwohl, gemessen am Spielwert sind 65,- DM doch eine echte Herausforderung. Für weniger Geld gibt's deutlich spielenswertere Spiele. Aber das Spiel selbst zählt ja auch nicht wirklich, es geht sowieso mehr um die Idee und deren künstlerische Umsetzung.
In Augenhöhe mit der Wittigschen Kunst gibt's nicht viel. Ab und zu tauchen findige Spielemacher auf, die sich für Künstler halten. Deren Kunst besteht in der Regel darin, eifrigen Spielesammlern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Geringer Gegenwert gut verpackt, schon rollt viel echtes Geld für vermeintliche Kunststücke. Richtige Spieler sind vor solchen Machenschaften natürlich eher geschützt. Erinnert sich noch jemand an die weißen Boxen von Warfrog? Diese Negation der Kunst offenbart, wie Kunst wirklich funktioniert. Illusion ist alles, man muss nur bieten, was sich Käufer wünschen, z.B. Seltenheit und teure Exklusivität. Spielesammler sind betriebsblind, sie wollen gar nicht sehen, was wahrhaftig geboten wird, sondern nur ihren Besitz fühlen und zu Hause ins Regal stellen.
Bei den allermeisten Spielen reicht es nie zur Kunst. Vielleicht sind sie zu perfekte Spiele im ursprünglichen Sinn oder einfach nur zu gewöhnlich, als dass sie den riesengroßen Schatten der Gebrauchsgüter verlassen könnten. Manche Stücke tun sich trotzdem hervor, vielleicht gerade, weil sie gar kein Spiel sind. Solche Stücke heißen Design, sind avantgardistisch gestaltet und morgen schon Kuriositäten. An diesen Stücken nagt der Zeitgeist schneller, als Mäuse an Wittigschen Pappröhren.

Ist es ein Spiel?

MEANDER gehört für mich in diese Schublade, denn anders - wenn nicht sogar gleichsam kurios - ist dieses "Spiel" definitiv. Es beginnt - erst recht - mit dem Material. Sie dürfen sich an einem äußerst zeitgemäßen und sehr minimalistischen Design erfreuen: Die riesige superflache und quadratisch rote Schachtel ist sparsam in Schwarz und Grau bedruckt, darin findet sich das massive und variable Spielfeld aus grauem und schwarzem Kunststoff. Sehr massiv, aber leider auch sehr trist. Gräben tun sich auf! ... und da sind natürlich auch noch 10 Kugeln aus glänzendem Metall in der Schachtel. Was wird nun gespielt? Natürlich rollen Kugeln durch die Gräben in den Spielsteinen, aber erst nachdem 25 Spielsteine im Rahmen auf dem Brett platziert sind. Denken Sie bei MEANDER an eine Kugelbahn?
Ja, aber wie kommt Bewegung in die Bahn? Dazu wird der Spielplan einfach aufgebockt, und jeder der beiden Spieler läßt fünf Kugeln rollen. Der eine von Nord nach Süd (oder umgekehrt), der andere von Ost nach West (oder umgekehrt). Man muss den Spielplan nur jedesmal neu aufbocken. Jeder hat fünf Eingänge ins Bahnlabyrinth, durch jeden wird eine Kugel geschickt. Kommen Sie am gegenüberliegenden Ausgang heraus? Oder kommen Sie in den Eckfeldern oder beim Gegner an? Keine ist auf Ihrer Seite angekommen? Dann haben Sie schon früher etwas falsch gemacht. Hätten Sie nicht besser diesen oder jenen Spielstein woanders hinlegen können? Sie haben doch nicht etwa das eigentliche Spiel verpasst und die Steine mit den Bahnen wider der Physik irgendwie abgelegt?
Deshalb rollen die Kugeln am Ende der Partie zur Kontrolle durch die Bahnen, ob sie auch wirklich so rollen, wie Sie es sich überlegt haben. Manchmal rollen Sie leider trotzdem nicht so. Kein System ist perfekt, MEANDER auch nicht. Vielleicht bremst ein Staubkörnchen oder eine überstehende Kante die Kugel? Vielleicht auch Ihr Atem? Vielleicht haben Sie falsch gedacht, als Sie einen Spielstein vom Haufen genommen und auf dem Spielfeld abgelegt haben. Haben Sie die vier unterschiedlichen Steine im Blick? Wenn Sie auf dem Haufen liegen, sehen Sie nichts als deren schwarze Rückseiten, Sie müssen schon einen Stein aufdecken. Ist es eine Kreuzung? Wie Sie die Kreuzung auch legen, keiner hat einen Nachteil und keiner einen Vorteil. Bei den Kurven sieht's schon ganz anders aus, wobei mir nicht klar ist, ob ich davon einen Vorteil habe, Ihre Bahn nach links und meine nach rechts abknicken zu lassen. Am besten gefallen mir die beiden unterschiedlichen Weichen. Für meine Kugel geht die Bahn geradeaus weiter, kommt also näher an die gegenüberliegenden Seite. Ihre Kugel wird ganz gemein umgelenkt. Da haben Sie eine schöne Aufgabe, die Kugel wieder auf den Heimweg zu führen.
Aus 25 Steinen ist die Kugelbahn im 5x5 Raster entstanden. Zuerst wird ein Stein ins Zentrum gelegt, an den angelegt werden muss. Ob über Eck oder Seite an Seite spielt dabei keine Rolle. Aber welchen Stein man auch ergattert, so großartig viel gibt's nicht zu überlegen. Die Frage heißt einfach nur: Wie lege ich den Stein zu meinem Nutzen und zu Ihrem Schaden? Eigentlich reduziert sich alles auf den Zufall, ob Kreuzung, Kurve oder Weiche gezogen wird. Eine Partie MEANDER ist deshalb schnell gespielt. War wohl doch nur eine Art Vorspiel. Gibt's einen Höhepunkt? Wenn die Kugeln rollen!? Das ist dann die Kunst: Nur echte Liebhaber bleiben bei der Stange.

Der Höhepunkt

Hätte ich mich nur nicht vor langer Zeit schon von GROOVY getrennt. MEANDER hat mich wieder auf die Spur dieses alten MB Spiels gebracht. Dummerweise habe ich es auf dem Flohmarkt verscherbelt. GROOVY und MEANDER haben viele Parallelen. In beiden Spielen rollen Kugeln durch ein Labyrinth, in beiden besteht das "Spielfeld" aus 5x5 Steinen, in beiden wird das Spielfeld gekippt. Nur spielt sich GROOVY nicht einmal schlecht. Ich habe es selbst wieder erproben können, Hermann sei Dank! Das Kugellabyrinth wird zwar nicht wie bei MEANDER von den Spielern errichtet, dafür können die bereits liegenden Steine im Laufe des Spiels gedreht werden. Gerade diese Drehungen geben GROOVY ganz neue Wendungen, und den Kugeln neue Bahnen. Auch entscheidet der Gegner mit, wie die Kugeln durchs Labyrinth flitzen. Er hat es nämlich in der Hand, mit wie viel Energie er das auf einer Halbkugel gelagerte Brett kippt. Die Ecke ist zwar klar, aber mit welcher Kraft und Geschwindigkeit er das dann macht, bleibt ihm überlassen. ... und vom Design kann GROOVY sogar mithalten, wenn man mal von der aufregenden Verpackung absieht. Die ist nämlich auch ganz Kind seiner Zeit. Das Photo mit den spielenden Kindern ist wirklich wunderbar. Wer weiß, vielleicht werden Sie MEANDER in 30 Jahren auch als Kind seiner Zeit entlarven. Aber werden Sie bis dahin den Spielreiz ergründet haben? Oder reicht Ihnen das Designerstück?

Wolfgang Friebe

MEANDER von für 2 Personen von Justus van Oel, Huib van Winkoop und Jac. Gofers, denkwerk en zwaartekracht, damals 60 Euro + Porto


Zuerst veröffentlicht in der Fairplay 57

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