Prof. Pünschge spielt ERWISCHT!
Das ist schon mal gut: Die Regeln sind kurz und schnell erklärt. Aber … es bleiben einige Fragezeichen. Wie soll man das denn bitteschön spielen? Ist das überhaupt ein Spiel? Doch, ja, formal schon. Eine Schachtel, eine Regel, 60 Karten – alles was zu einem Spiel gehört, ist dabei. Nur bringen alle Mitspieler auch das mit, was ERWISCHT! einfordert? Kommunikationstalent, Fantasie, Extrovertiertheit? Mit einem Wort: Schauspieltalent! Das ist zwar nicht unbedingt ein Muss, es erleichtert aber dieses Spiel deutlich, wenn man ein bisschen aus sich raus gehen kann. Oder auch nicht. Wer ganz subtil seine drei Aufgaben erfüllt, kommt oft besser bei ERWISCHT! durch, weil ein subtiler Mensch sich weniger oft erwischen lässt.
Jeder hat ein Kärtchen mit drei Aufgaben – unterschiedlichster Art und unterschiedlichster Anforderung. Diese Aufgaben muss man bis zu einer bestimmten Uhrzeit erfüllt haben. Schafft man das vor Zeugen, gibt es Pluspunkte. Fällt man dabei auf und wird erwischt, bekommt man keine Plus-, wenigstens aber auch keine Minuspunkte. Darum wird es wohl jeder auf seine Weise versuchen: Acht Minuten zu schweigen, Fragen zu stellen, die nicht in den Zusammenhang passen, ein Tier zu malen und auf dieses Kunstwerk stolz zu sein … Alle anderen liegen auf der lauer, denn ERWISCHT! zu rufen kostet ja nix.
Und da liegt auch schon der Hase im Pfeffer. ERWISCHT! ERWISCHT! ERWISCHT! tönt es immerzu, weil jede nur noch so kleine Abweichung von üblichem Verhalten entsprechend honoriert wird. Die Mitspieler sind ja nicht doof, passen auf wie die Schießhunde. Jedes falsche Erwischen kostet sie keine Punkte. Es wird inflationär „Erwischt!“ Meistens kommt aber nix dabei raus.
Natürlich nicht, denn man tarnt sich ja … so extrovertiert oder subtil das eben geht. Man kann sich auch Zeit lassen, muss ja nicht gleich in den ersten Minuten aktiv werden. Außerdem lohnt es sich, die anderen zu verwirren. Was allerdings dieselben Konsequenzen wie das Erwischen mitbringt: Inflationäres Täuschen! Jeder versucht es, jeder macht es. Das wäre bestimmt lustig, wenn es nicht gleich aus drei oder mehr Kehlen „Erwischt!“ tönen würde.
Wer immer eine Aufgabe erledigt, wartet 30 Sekunden und vergattert den Menschen, der gerade unbewusst zum Zeugen wurde. Nur … meistens sind die anderen so mit sich und ihrer Aufgabe beschäftigt, dass sie gar nix bezeugen können. „Wie?! Was?! Kann gar nicht sein … du hast nie im Leben acht Minuten geschwiegen … nie unnötige und unpassende Fragen gestellt.“ Natürlich nicht, aber das Tier – schau her – das habe ich gemalt. Und nur weil keiner zuhört, hat keiner mein Eigenlob mitbekommen.
Ohne Frage, ERWISCHT! ist ein äußerst originelles Spiel, deshalb bekommt es auch den ersten Prof. Pünschge verliehen. Selten war ein „Spiel“ so anders, geht so andere Wege, verlässt Brett und Schachtel so souverän, spielt mit dem Spiel und allen Mitspielern. Aber für Szene-Spieler, die Taktik und Strategie lieben, ist ERWISCHT! nichts, aber auch gar nichts. Dafür bietet ERWISCHT! zu viel Platz für Regeldiskussionen, wenn man mal nicht alle Fünfe gerade sein lassen kann. Wie genau muss man beschreiben, warum man wen wie erwischt hat – das ist für viele die Kardinalfrage. Und natürlich quengeln solche Mitspieler immer über die Gewichtung der Aufgaben. Das sei ja alles unfair, denn „man“ hat ja immer die schwersten Aufgaben. Und außerdem: es gibt nur 60 Aufgabenkarten, das sei ja eigentlich viel zu wenig.
Es finden sich immer Gründe, dagegen zu sein, statt ERWISCHT! locker und mit einer Prise Witz zu spielen. Es geht ja gar nicht ums Gewinnen, man muss nur die Meta-Ebene erkennen. Wenn man sich aber darauf einlässt, ERWISCHT! vielleicht gar nicht so expressiv spielt, eher verdeckt und subtil agiert, dann … ja dann kann ERWISCHT! jede Party, jede lockere Zusammenkunft erheitern. Nur bei einem Spieleabend neben den „normalen“ Spielen würde ich es nicht mehr einsetzen.
Wolfgang Friebe
ERWISCHT! von Christian Leway für 4 bis 50 Personen, Heidelberger Spieleverlag 2009 & Le Scorpion Masque
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