Samstag, 23. September 2006

+ Augsburg 1520

Das Spiel, das mich nicht mag

Dann ist ja alles klar. Soll sich dieses junge Ding man ja nicht einbilden, dass es das einzige Spiel sei. Nur weil es aus guter Familie ist, meint es wohl, sich seine Verehrer aussuchen zu können. Wenn es mich als Verehrer nicht will, dann eben nicht. Legen Sie wert auf gute Abstammung? Ist mir doch so was von egal. Wer mich nicht mag, den mag ich auch nicht. So!!! Schuld? ... trage ich keine. Was habe ich nicht alles angestellt?! Alles probiert, immer wieder. Am liebsten würde ich es gleich nochmal spielen, hier und jetzt und mit Ihnen. Was soll ich denn machen? In meinen Spielkreisen kam es nicht wirklich an. Aber okay, ich gebe dem Spiel noch eine Chance. Ich würde sogar meine Mitspieler austauschen: Weg mit den gesättigten Vielspielern, weg mit den unbedarften Familienspielern. Weg mit meinem kommunikativen Damenkränzchen. Sind Sie jetzt mein Mitspieler oder nicht!? Sie sind also definitiv männlich und Ihr Verlangen nach jungen ... Spielen ist ungebrochen?


Nicht nur die Vielspieler stören sich am Aufbau, an dem ganzen Brimborium am Anfang. Hier ein Stäpelchen mit diesen Plättchen, dort ein Stapel mit soundsoviel Plättchen für soundsoviel Mitspieler. Und hier eine Sorte Karten, da noch eine andere. Und was liegt dann alles auf dem Spieltisch? Ein Spielplan mit Wertungsleiste, für jeden ein Spielertableau zur Plättchenablage, Stapel hier und Stapel dort. Für Familienspieler bedarf es schon eines gewissen missionarischen Eifers, Profispielern ist das alles doch zu umständlich ... für ein Versteigerungsspiel.


Die Versteigerung ist eigentlich nicht unpfiffig. Die Karten, mit denen man um die Gunst von fünf Adligen pokert, muss man erst kaufen. Geld ist knapp, und wertvolle weil hochwertige Karten sind teuer. Und bekommt man die überhaupt auf die Hand? Nur wenn man sich bestimmte Ämter verschafft und behält, kann man unter einer größeren Kartenzahl wählen. Aber Ämter sind eben nicht alles. Wie so oft sind Ämter und Geld nur das Mittel zum Zweck. In Augsburg spielen ganz andere Dinge eine Rolle, und das sind Titel. Aufstieg äußerte sich damals nicht nur in Geld, sondern maß sich an Adelstiteln – Freiherr, Graf, Fürst. Haben es die Fugger eigentlich so weit gebracht? Adelstitel gleich Siegpunkte, so einfach ist die Formel zum Sieg.


Wenn da nicht das ganze Drumherum wäre. Mit den erkauften Karten muss man erst um Privilegien steigern. Nur wer die wertvollsten oder meisten Karten einem der fünf Fürsten anbieten kann, kommt an Ämter, Einkommen und Adelstitel. Also wird geboten ... oder gepokert. Wer eine hohe passende Karte hat, bietet nur eine Karte. Da spielt die nicht unbegründete Hoffnung eine Rolle, dass alle das Gebot halten und auch genau eine Karte bieten. Niemand wird gezwungen zu überbieten. Die Höhe der Karte zählt. Dumm nur, wenn einer mit seiner einen kleinen Karte das Tor zum „Halten“ ganz weit öffnet. In Augsburg gilt: Wer hinten sitzt, hat mehr vom Pokern. Wer kleine Karten in ausreichender Menge auf der Hand hat, wird das Erstgebot mit Masse – mehr Karten - überbieten. Das muss man, schließlich wird man mit kleinen Karten in der Regel nix. Überhaupt sollte man mitbieten, denn als unterlegener Zweit- und Drittbieter erhält man mit 100 bzw. 50 Gulden aus der Kasse. Diese paar Mäuse sind ein nicht zu verachtendes Zubrot.


Vier von fünf Adligen ist eine Kartenfarbe zugeordnet, nur für Maximilian gelten alle Farben. Wer in den ersten vier Auktionen nicht zum Zuge gekommen ist, kann mit dem wenig wählerischen Maximilian noch sein Glück machen. Allerdings sind zu diesem Zeitpunkt auch schon vier der fünf Privilegienkarten an die Mitspieler verteilt. Wer bei Philipp – dem ersten der Reihe – am besten um seine Gunst pokert, hat die große Auswahl. Also was tun? Karten von Philipp bunkern? Ich würde mein Geld nur in hochwertige Karten gleich welcher Farbe stecken, damit ich nicht bei allen Auktionen leer ausgehe. Oder in teure Joker, damit lässt sich flexibel die Kartenanzahl steigern und ebenso flexibel ein Konkurs herbei führen. Und selbst wer häufig in den Bietrunden leer ausgeht, steht zumindest in den nächsten Runden mit immer mehr Karten da. Da sollte es doch gelingen, an mindestens eine Privilegienkarte zu kommen. Zwei der drei Privilegien pro Karte darf man nutzen: Ämter, Faktoreien, Titel oder manchmal auch nur Bargeld.


Ohne Geldnachschub läuft bei AUGSBURG 1520 fast nichts, man muss auch auf Faktoreien und damit auf mehr Einkommen setzen. Ganz einfach aus dem Grund, dass man auf jeden Fall zweimal seine Gottesfurcht beweisen muss, und die war damals teuer. In die Wertungsleiste sind Barrieren eingebaut. Über 25 Punkte hilft nur eine Kirche, über 45 Punkte nur ein Dom hinweg. Selbst wenn man viele Siegpunkte aufgrund von Adelstiteln macht, so bleibt einem der Zutritt zu höheren Weihen verwehrt. Natürlich ist es für den ersten Kirchen- bzw. Domstifter besonders teuer. Der Preis fällt jedoch nach jedem Neubau. Das passt prima ins Spiel und sorgt dafür, dass es eben nicht ein Windhundrennen um die begehrten Adelstitel geben müsste. Gibt es aber doch, weil irgendwann im Spiel einer die Hatz auf die Titel eröffnet. Besonders die Adelsbriefe und Wappen sind lukrativ, denn wer hier zuerst zuschlägt, erhält Runde für Runde die höheren Punkte. Vorausgesetzt Kirche und später der Dom stehen rechtzeitig. Natürlich muss man für ein Wappen einen gräflichen und für den Adelsbrief einen fürstlichen Titel vorweisen ... den man auch den anderen wieder wegschnappen kann und muss.


Aber bitteschön immer aufs eigene Portemonnaie achten. Es haben sich schon viele vollständig bei der Jagd auf Titel verausgabt, ganz einfach, weil sie noch nicht die nötige finanzielle Potenz hatten. Es fehlte einfach an Kohle für die darauf folgenden Kartenkäufe und die beiden Bauprojekte Kirche und Dom. Runde um Runde guckt man dann in die Röhre. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt für die Jagd auf Titel und damit Siegpunkte? Wenn man sich mit Gulden vollgesogen hat, sind die anderen längst auf und davon. Sollte man einen Frühstart riskieren, nur um schon weit vor der Zielgerade abgefangen zu werden? Wer mit Siegpunkten davon zieht, wird sicherlich ganz schnell herausragende Ämter und Titel verlieren. Zwischen diesen Polen zu lavieren, erfordert Pokerface, Planung und ein gewisses Maß an Zurückhaltung. Aus irgendeinem Fernsehfilm über einen Geldgeber, der von seinem adligen Schuldner letztlich zugrunde gerichtet worden ist, habe ich das Motto für dieses Spiel: Umkreise den Weinberg, aber betrete ihn nie. So ähnlich ist das mit der vermeintlichen Siegposition. AUGUSBURG 1520 spielt sich am besten aus der Hinterhand, aber es ist so verdammt schwierig, den richtigen Zeitpunkt fürs eigene Vorpreschen einzuschätzen. Zumal einem da schon längst einer zuvor gekommen sein könnte. Deshalb ist viel Frust im Spiel, auch weil nur und ausschließlich die anderen immer so lange überlegen müssen.


Natürlich habe ich diesem Spiel mein Herz geöffnet, ganz ohne Ansehen von Gestalt, Thema und Autor. Wegen des anspruchsvollen Spielgeschehens und der stimmigen Geschichte. Das bin ich dem Verlag schuldig. Ein Spiel von Alea darf kein Vielspieler ignorieren, denn was wäre die Welt der Spiele ohne Alea? Daraus erwächst Verpflichtung ... für beide Seiten. Aber kann sich ein Verlag jedes Jahr selbst übertreffen? Muss Alea das leisten?


Ich hab' sogar die längliche Regel vorab durchgeackert und mehrfach gelesen. Die vielen Details und einige verschlungene Formulierungen haben mir reichlich Mühe abverlangt. Deshalb war sie gleich da, eine erste Ahnung dunkler Wolken. Die Regel ist wie ein Barometer: wichtig für den ersten Eindruck und erste Tendenzen. Der Start in diese Beziehung wird nicht einfach, zumal auch viel, sehr viel von den Mitspielern abhängt. Aber ich habe gekämpft und mich gut vorbereitet, damit meinen Mitspielern die Zeit fürs Regelerklären nicht zu lang wurde. Für alle Wissbegierigen steht am Schluss der Regel nochmal eine Doppelseite mit speziellen Regeln und Hinweisen. Spätestens an dieser Stelle waren die dunklen Wolken nicht mehr nur eine Ahnung.


Ich hab' Stimmung für das Spiel gemacht, an das Gewissen der Vielspieler appelliert. An mir hat es nicht gelegen. Aber wie soll ich auch meine Normalspieler und vor allem -spielerinnen mit diesen Argumenten für ein Spiel begeistern? Für diese Runden zählt nur eines: Ist das Spiel gut oder nicht? Ist es einfach zugänglich oder nicht? Kommt gleich Spannung auf oder nicht? Vielleicht hätte AUGSBURG 1520 eine Chance, wenn man sich in einer lange Ehe aneinander gewöhnt. Heutzutage sind die schnellen Verführer ganz hoch im Kurs ... all die Spiele, die einem genau die Mühe abverlangen, die man mühelos aufbringen kann. Die große Liebe, die auf den ersten Blick funktioniert.

Wolfgang Friebe


AUGSBURG 1520 von Karsten Hartwig für 2-5 Personen, Alea/Ravensburger 2006


Zuerst veröffentlicht in der Fairplay

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