Ohne Umsteigen zum Ziel
Für die Londoner Tube hätte ich mir einen interaktiven Spielplan gewünscht. Einen, der dem Passagier automatisch den Weg zum Ziel zeigt. Die richtige Verbindung leuchtet einfach auf, wenn man den Passagier am Kopf und das Zielfeld berührt. TOUCH AND PLAY à la Ravensburger, das wäre hier mal was. Es muss gar nicht der kürzeste Weg sein, es müsste nur der Weg sein, den ein echter Londoner bevorzugen würde. Aber wer kennt sich in London so gut aus, kennt alle Umstiegsmöglichkeiten, alle Linien? Es bleibt Ihnen nichts übrig, Sie müssen den Plan studieren ... zumindest für den zweiten Teil Ihres Zugs, wenn sich der Passagier bewegt.
Wohin er fährt, bestimmen vier Zielkarten. Die erste Wahl fällt immer auf eine Karte mit Expressbahnhof, sofern vorhanden. Expressbahnhöfe liegen näher zum oder im Zentrum Londons. Faulheit siegt, deshalb bevorzugt der nette Londoner immer eine Verbindung zum naheliegensten Ziel, das muss nicht das nächstgelegene sein. Wohin er fährt, ergibt sich aus seinen Vorlieben. Ein echter Londoner geht grundsätzlich möglichst wenig zu Fuß und bevorzugt Linien, die direkt zur Zielhaltestelle fahren. Umsteigen hasst er wie die Pest. Leider gibt es in Münster keine U-Bahn, aber ich würde es bestimmt genauso machen.
Wo muss er hin? Er startet immer von der Station, die er zuletzt besucht hat. Haben Sie die neuen Stationen auf dem Schirm? Gibt es mehrere Linien, die seinen Vorlieben entsprechen, haben Sie die Wahl. Natürlich fährt er dann über Ihre Linien, das bringt für jede benutzte Linie einen Punkt. Manchmal fährt er auch über die Linien der Mitspieler, manchmal sogar ausschließlich. Dann gehen Sie beim Fahren leer aus, und die anderen erhalten die Punkte. Ist der Expressbahnhof abgehandelt, fährt er nochmal, aber dann zu einer normalen Station. Das Spiel steuert den Passagier nach immer gleichen Regeln. Jeder kann mit dem Passagier im Schnitt null bis zwei Punkte machen, die Differenz zum Führenden ist dabei entscheidend. Über zentrale Linien fährt der Passagier viel häufiger, da sind bei jeder Fahrt Punkte drin. Das läppert sich. Aber letztlich entscheidend ist die Kombination der ausliegenden vier Zielkarten. Ist der Kartenstapel abgearbeitet, sind alle Fahrten gemacht, steht der Gewinner fest.
Überschätzen Sie aber den Passagier nicht. Dessen Fahrten bilden eher die taktische Komponente, denn es gibt ja noch den ersten Teil Ihres Zugs. Da bauen Sie an den Linien der Londoner Underground. Je nach Anzahl der Mitspieler baut jeder mindestens an zwei, zu zweit sogar an vier verschiedenen Linien. Streckenbau erfordert eher strategische Entscheidungen. Natürlich kann man mit einem geschickt platzierten Streckenabschnitt den Passagier auf eine eigene Linie locken, doch man kann auch anders punkten, indem man Verbindungen schafft.
Verbindungen zu zwei gleichen Verbundmarkern, die anfangs zufällig rund um die Innenstadt platziert werden. Verbindungen in die Außenbereiche – zu den Endstationen. So eine Verbindung wird sogar noch mit einem Weichen-Marker belohnt. Nur mit Weiche sind Abzweigungen möglich, weil ansonsten die Linie nur an deren beiden Enden verlängert werden darf. Und Anschlüsse an Bahnhofe mit Übergang zur Eisenbahn sind auch nicht schlecht. Richtig viele Punkte sind mit einer komplett geschlossenen Ringlinie drin. Jeder U-Bahnhof, der innerhalb der Ringlinie und nicht Teil der Strecke ist, bringt einen Punkt. Da sind bis zu 10 Punkte auf einen Schlag drin, aber nur wenn die anderen nicht aufpassen und man noch genügend Schienen zur Verfügung hat.
Gerade als Vierter oder Fünfter einer Partie sollte man auf Endstationen und Bahnhöfe spielen. Bevor man selbst an die Reihe kommt, sind bis zu sechs oder acht Fahrten gelaufen. In jeder voran gegangenen Runde hat sich der Passagier schon ein, meistens zwei Mal bewegt. Da ist man sowieso leer ausgegangen, weil man selbst noch keine einzige eigene Schiene auf dem Plan hat. Allerdings starten die hinten sitzenden Spieler auch mit einem kleinen Punktevorsprung.
Die Ringlinie lohnt sich für hinten sitzende Spieler nicht wirklich. Endhaltestellen sind viel interessanter, da weniger aufwendig und mit dem Weichen-Bonus versehen. Außerdem sind Linien in die Londoner Vorstädte nicht so umkämpft, wenn nicht noch jemand diese Taktik fährt. Da kann man gut die einzige Verbindung aufbauen, irgendwann fährt der Passagier ja auch dorthin. Wenn im Zentrum bis zu fünf verschiedene Linien zwischen zwei Stationen möglich sind, fährt meistens nur eine einzige Linie in die Vorstädte.
Jeder kann bis zu vier Schienen legen, da hat man als Startspieler schon deutliche Vorteile und kann je nach Zielbahnhöfen mehrfach Punkte für die ersten Passagierfahrten kassieren. Also muss, wer hinten sitzt, sich eine andere Strategie überlegen, sonst ist man oft chancenlos. Man sollte aber immer im Hinterkopf haben, dass es je nach Farbe nur 20 bzw. 15 Schienen gibt und einem die Schienen für eine Ringlinie schneller als gedacht ausgehen können. Auch Weichen schaffen schnell gewisse Zwänge, weil man mit Nebenstrecken schon (zu) viele Schienen verbaut hat. Weichen bekommt man gratis beim Anschluss einer Endhaltestelle und auch, wer nicht alle vier Schienen platziert. Für jede ausgelassene Schiene gibt es eine Weiche.
ON THE UNDERGROUND ist in den ersten Partien eher harmlos, weil man sich nicht so stark in die Suppe spuckt und viel zu sehr auf den Passagier achtet. Außerdem ist man anfangs sehr mit eigenen Plänen beschäftigt. Das kennen Sie sicher schon aus ZUG UM ZUG. Bei ON THE UNDERGROUND ändert sich das aber mit der Zeit, wenn man die strategische Komponente des Streckenbaus entdeckt hat und weiß wie viele Punkte damit zu machen sind. Zu zweit und zu dritt spielt es sich deutlich anders als zu viert und fünft. Es gibt ein paar Finessen und Strategien, die je nach Spielerzahl unterschiedlich stark sind.
ON THE UNDERGROUND ist ein Spiel, das mir gefäll. Besonders zu zweit und dritt entwickelt es die richtige Tiefe. Trotzdem empfanden es viele meiner Mitspieler als zu harmlos und zu langwierig. Sie störte das ewige Gesuche der naheliegendsten Station. Außerdem zog sich das Spiel in ihren Augen hin, weil man so gar nichts machen kann, wenn man nicht an der Reihe ist, außer man diskutiert fleißig darüber, was denn nun wirklich die richtige Strecke ist. Jede Diskussion kostet Zeit, die das Spiel verlängert. Mitunter ist nicht wirklich auf den ersten Blick ersichtlich, welche Linien der Passagier nehmen muss. Dafür haben meine Mitspieler ja mich, ich sag' denen immer wo es lang geht. Wahrscheinlich mögen sie deshalb mein neues Lieblingsspiel nicht. Ich kann aus dem Eff-Eff Passenger's most suitable route nennen. Ich bin deren interaktiver Spielplan.
Apropos Spielplan, der ist wirklich riesig für so eine kleine Schachtel. Er besteht aus acht knapp DIN A4 großen Teilen, die sich durch siebenmaliges Falten zusammenklappen lassen. Nicht nur der riesige Plan macht Eindruck - auch Karten, Weichen, Marker - alles ist perfekt gestaltet.
Wolfgang Friebe
ON THE UNDERGROUND von Sebastian Bleasdale für 2 bis 5 Personen, JKLM und Rio Grande Games 2006
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