Dienstag, 10. November 2015

Rezension: Lewis & Clarke von Ludonaute (Rezension aus der Fairplay 108)

Cédrick Chaboussit: LEWIS & CLARK für 2(-5) Spieler mit Grafik & Illustration von Vincent Dutrait bei Ludonaute 2014 im Vertrieb von Heidelberger

Tout à fait!

Glaubt man nicht, dass ausgerechnet Franzosen den Amerikanern ein so schönes Thema abnehmen. Die Eroberung des Wilden Westens gehört zum amerikanischen Mythos und ist jetzt in der Hand von Cédrick Chaboussit und Ludonaute. Und statt eines „Yeah“ erschallt jetzt ein fröhliches „Oui!“ Aber das Spiel selbst entbehrt jeder französischen Leichtigkeit, es ist tatsächlich zutiefst amerikanisch.

So viele schöne schnörkelige Möglichkeiten, und mit allen kann man scheitern. So richtig scheitern. Nix für deutsche Vollkaskomentalität. LEWIS & CLARK funktioniert ohne Netz und doppelten Boden. Unsere Expedition quer durch Nordamerika läuft ins Risiko. Jeder ist hier selbst seines Glückes Schmied. In den Weiten des Westens, gerade beim Übergang vom Fluss in die Berge ist Unachtsamkeit alles andere als hilfreich. Insofern ist LEWIS & CLARK Realismus pur. Diese Herren hätten ebenso gut scheitern können … auf Nimmerwiedersehen in die Ewigen Jagdgründe einziehen, besonders wenn sie südlich durch das Gebiet der Komantschen gereist wären. Dann hätte Präsident Jefferson oder sein Nachfolger vielleicht nochmal jemanden los geschickt, vielleicht sogar den Herren CHABOUSSIT & DUTRAIT. Franzosen dürften zu der Zeit im Mittleren Westen gelebt haben. Napoleon hat damals das französische Lousiana an die jungen Vereinigten Staaten verscherbelt.

Vielleicht ist die geringe Fehlertoleranz die besondere Note des Spiels. Von subversiven Franzosen extra eingebaut. Wollen sie gar den erfolgsverwöhnten und selbstsicheren Amerikanern mal den Spiegel vorhalten, wie es auch hätte ausgehen können. Ein Happy End ist für LEWIS & CLARK nicht garantiert, jedenfalls kein schnelles. Die Indianer unterwegs hätten auch anders handeln können, statt die Expedition zu unterstützen. Hätten die Indianer damals schon gewusst, wohin das führt, hätten sie sicher nicht mitgespielt. So oder so, sie sind im Spiel eine ganz besonders wichtige Größe. Ich nehme sie gerne in mein Expeditionsteam auf … und gebe sie tunlichst nicht wieder her. Und ich beute sie nicht auf ewig aus. Nach dem Spiel entlasse ich sie in die Freiheit, ihr Reservat ist die Spieleschachtel.


Und wir Spieler? Was passiert mit uns … wenn wir den ganzen historischen Kontext außer Acht lassen? Das Spiel ist optisch so anders, so schön eigenständig. LEWIS & CLARK strahlt nicht den zurzeit gültigen Mainstream aus. Nicht dass ich unsere Grafik schlecht finde, aber Dutraits Grafik ist einfach frischer. Nee, stimmt gar nicht. Ein Mitspieler fühlte sich an ein ungarisches Jugendbuch von der DDR-Verwandtschaft erinnert. Das blaue Cover von „Die Geschichte des lahmen Büffels“ trägt in etwa dieselbe Atmosphäre. Also ist Dutraits Grafik gleichzeitig retro, frisch und ungewohnt. Davon nähme ich gerne mehr …

Und das Material? … gut oder schlecht? Es gab da einige Klagen über die Qualität, gar über die geänderte Schachtelform der Neuauflage. Kann ich nicht nachvollziehen, alles soweit im grünen Bereich. Bis auf das unbedingte Bedürfnis, mir nach der ersten Partie die Hände zu waschen. Die Karten fühlten sich so speckig an … und am Ende auch meine Hände. Jetzt hab' ich gerade nochmal die Karten in die Hand genommen … ich könnte mir gleich wieder die Hände waschen. Glauben Sie nicht? Doch, doch, doch … immerhin sind sie jetzt nicht mehr durchgebogen, das hat sich gelegt. Waren wohl in eine zu straff gespannten Schutzfolie eingeschweißt. Ist alles keine hiesige Produktion, das merkt man gleich.

Genug jetzt? Wie's funktioniert?! Moment, da sind doch noch die Regeln. Muss man sich erarbeiten, sind nicht besonders gelungen strukturiert. Vom reinen Lesen hab' ich nix verstanden, erst im Spiel erschließen sich die vielen Feinheiten, die in der Regel recht willkürlich aneinander gereiht erscheinen. Und so lang wie die Regel zunächst erscheint, ist sie dann doch nicht. Einmal verstanden lässt sich LEWIS & CLARK viel einfacher erklären. Allerdings ist das mit Normal-Spielern immer noch verdammt hartes Brot. Sooo viele Details? Wie soll ich die alle auf dem Schirm haben?

So jetzt aber – die Regeldetails: … Ein Wettrennen?! Danach sieht's auf den ersten Blick gar nicht aus, denn die Rennstrecke drückt sich gekonnt an den Rand des Spielfelds. Ist ja eigentlich auch nur eine Kramerleiste für Bewegungspunkte. Vorwärts geht’s dann doch nicht so einfach. Im eigenen Deck sorgt der Chef der Expedition für Bewegung. Nur er kann Fleisch, Pferde und Kanus in Bewegung ummünzen. Die anderen „Personen“ im Startteam sind Zuarbeiter, besorgen alles, was sonst noch wichtig ist. Es gibt aber neue Arbeiter, die unterwegs – also schon im Wilden Westen – zur Expedition stoßen. Und besonders um jene sollte man sich kümmern, die bessere Bewegungsmöglichkeiten verschaffen. Felle und Ausrüstung muss man dafür bezahlen. Immerhin werden diese Arbeiter immer billiger, bevor sie ganz aus der Auslage verschwinden. Ein gutes Team reicht. Zu viele Arbeiter braucht keiner, denn dann fallen sie zur Last … wenn das Lager aufgeschlagen wird.

Jeder Arbeiter ist zunächst kraft- und saftlos. Die muss man verstärken, damit man ein bis drei Mal seine Fähigkeiten nutzen kann. Dafür kann man a) die Kartenrückseiten seiner anderen Zuarbeiter benutzen oder b) Indianer anheuern. Die gibt’s im Dorf. Um an die ranzukommen, hat man einen Indianerfänger. Keine Sorge, die werden nur angeheuert. Was sagt die Regel dazu: Als Anfänger sollte niemand den Indianerfänger und den Chef über Bord werfen, denn ohne Bewegungsmöglichkeit und Indianerunterstützung geht’s nicht rüber zum Pazifik … und auch nicht aufs Siegertreppchen. Es sei denn, man nutzt Schamanismus im Indianerdorf. Damit beschwört man einen bereits eingesetzten Arbeiter des rechten oder linken Nachbarn zu eigenen Gunsten. Sollte keiner übersehen. Stattdessen kloppen sich alle um zusätzliche Boote. Mit denen spart man Zeit, wenn man unbedingt viel mitschleppen will.


Wenn man seine Jungs wieder auf die Hand nehmen will, muss man kampieren. Dann sollte man nicht zu viel Ballast, sprich ungenutzte Rohstoffe, Indianer und Zuarbeiter auf der Hand haben. Das wirft den Kundschafter auf der Rennstrecke womöglich weit zurück. Gerade falls der Übergang von Fluss- auf Bergstrecke geschafft ist, wäre es ziemlich doof, statt im Gebirge doch wieder am Wasser kampieren zu müssen. Gerade der Übergang kostet ...

Tja, was tun, sprach der große Manitu? Wir machen so unsere Erfahrungen, was geht und was weniger geht. Wie so oft helfen viele Rohstoffe und viele Karten erst mal viel, sind aber beim Kampieren hinderlich. Was immer geht, sind Indianer. Indianer erleichtern das Spielerleben. Nur sollte man sie nicht zu oft aus der Hand geben und zurück ins Dorf schicken. Da können sie nämlich von den Mitspielern eingesammelt werden. Besser man macht sich möglichst unabhängig vom Geschehen im Dorf. Dafür muss man sich nur die bestpassenden Zuarbeiter aus der Auslage schnappen, wenn sie denn dort überhaupt erscheinen. Zum Beispiel einen nehmen, der mir zusätzliche Kanus verschafft oder Bewegung schon bei Zahlung von Holz ermöglicht. Außerdem kann man dann eingesammelte Indianer zur Verstärkung dieser Karten nutzen. Man muss nur schnell genug vorankommen, ohne allzu viel Ballast mitzuschleppen: sprich seine Kartenhand optimieren.

Und noch was... Was?! Noch mehr? … Je nachdem wie viel Sie an Gehirnschmalz investieren, kann es für Sie gut oder weniger gut laufen. Was ist die Konsequenz? Wer gewinnen will, muss nachdenken, viel nachdenken, planen, rechnen. Und die Konsequenz daraus? Am besten nur zu zweit spielen, das verkürzt die Wartezeiten. Und da ist noch ein anderes Phänomen: Wer als Anfänger mutig drauflos spielt, fällt aller Wahrscheinlichkeit chancenlos zurück, weil das diffizile Gefüge und die zutiefst amerikanische Seele des Spiels keine Fehler verzeihen. Andersherum scheitert unter Profis möglicherweise das Spiel, weil es zu grübellastig wird, weil jeder lange über seinen besten Zug nachdenkt.

Und nun?! Wie stehen Sie zu einem Spiel, bei der der Frust aus jedem Mechanismus gespeist wird. Können Sie sich diesem Risiko, dieser Herausforderung stellen? Wie ein Amerikaner denken und spielen? Nach einer Niederlage wieder aufstehen und die Expedition zum Pazifik erneut angehen? LEWIS & CLARK ist kein Spiel für Weicheier, eher was für hartgesottene Denker. Allerdings sind das für die Expedition nicht die besten Teilnehmer. Wer zu lange überlegt, zu oft zaudert, der stirbt zwar nicht am Spieltisch, aber der tötet dafür den Spielspaß. Ein paar weniger Optionen hätten dem Spiel sicher gut getan. LEWIS & CLARK ist beileibe kein schlechtes Spiel, nur für verwöhnte Spieler wie mich ist es zu einer gewissen Zumutung geworden. Wer will schon aus eigenem Zutun scheitern? Wenn ich's wenigstens aufs fehlende Glück schieben könnte, würde mir LEWIS & CLARK bestimmt besser gefallen. Und außerdem will ich nicht nur deshalb gegen einen Gegenspieler gewinnen, weil ich die Tücken der Expedition besser kenne. Ich bin dann ja nur das Murmeltier, das den Weg immer wieder geht.

Zuerst veröffentlicht in der Fairplay

Im Übrigen ist nur die Seite echt, in der das Logo auf den Bildern zum Logo oben auf der Seite passt. Alle anderen Seiten haben sämtlichen Inhalt von meiner Seite gestohlen.

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