Donnerstag, 6. August 2015

Rezension: Vienna von Schmidt-Spiele „geht gut“

Johannes Schmidauer-König: VIENNA für 3-5 Spieler mit Grafik von Michael Menzel bei Schmidt Spiele 2015

Der Sissi ihre Sahneschnitte

In meinem Gedächtnis pflege ich schon sehr spezielle Urlaubserinnerungen. Die über Wien reichen Jahrzehnte zurück, sind aber bis heute konserviert. Warum? Weil der Jazzclub in der Nähe der israelischen Botschaft mit einer ganz besonderen Herrentoilette aufwartete, mich der Kober im Hotel-Café beim Wechseln beschissen hat und wir an einem Würstelstand keine Wurst bekamen. Alles kein Schmäh …

Trotzdem würde ich wieder nach Wien reisen, vielleicht sogar Fiaker fahren. Bin jetzt im passenden Alter und‘s Bescheißen ist dank Euro nicht mehr so leicht. Die Frage nur: Fallen die Würfel so wie ich es gerne hätte? Gut ist relativ, passende Würfel sind gut, eine hohe Augenzahl tendenziell besser.
Fünf Würfel kann ich auf der Straße durch Wien unterbringen, pro Feld maximal zwei. Logisch, denn die Hausnummern reichen bis zur Zwölf. Auf zwei Feldern sind sogar Pasche gefordert. Und die Würfel auf den Aktionsfeldern lösen dann was aus. Stopp, meistens nicht sofort, sondern erst dann, wenn alle Würfel ein schönes Plätzchen gefunden haben. Das erfordert richtiges Einschätzen der Mitspieler sowie Kalkulieren der Kosten. Wie im richtigen Leben ist auch bei VIENNA das Geld oft knapp, manchmal sogar zu knapp. Ich würde tunlichst vermeiden, in die kommende Runde ohne Geld zu starten.


Und die Mitspieler lauern sowieso darauf, einem die besten Möglichkeiten mit ihren Würfeln zu verbauen. Ich muss mehrere Entscheidungen treffen: Soll ich mit meinen Würfeln Felder die Straße weiter runter besetzen und dafür einige andere lukrative Felder auslassen? Hab‘ ich dann noch Geld, um übersprungene Felder doch noch zu besetzen? Kann ich mir leisten, Würfel zu drehen oder neu zu würfeln? Und wer hat bei Köpfen, Kirchen und Kronen die Mehrheit? Oder lasse ich die Mehrheiten laufen und kaufe mir einfach direkt Siegpunkte?


Tja, da stehe ich mit meinen Würfeln und muss ständig abwägen. Meistens bin ich Opportunist, greife wo es geht nach jedem Halm. Und es gibt Halme, die man erst gar nicht für hilfreich erachtet. Die Doppelzugsonderkarte zum Beispiel … Diese roten Sonderkarten lässt man besser nicht links liegen, ganz besonders natürlich nicht Sissi und ihr Sahnestück, dem weißen Extra-Würfel. Und mit einem Pasch bringen die Sonderkarten sogar noch Punkte ein … oder hat da wer dieselben Pläne?


Hätte ich erst gar nicht gedacht, dass sich in VIENNA so viel Spieltiefe versteckt. Ich hab’s blöderweise erst liegen gelassen, vielleicht unterbewusst wegen meiner konservierten Erinnerungen an Wien. Muss ich auch mal abhaken! Schließlich ist Wien eine sehr schöne Stadt, so schön wie sie Michael Menzel hinbekommen hat. Er hat dem Spiel nicht nur einen, sondern zwei wunderschöne Spielpläne beschert. VIENNA dürfen wir je nach Gusto vorne bei Tag oder auf der Rückseite bei Nacht spielen. VIENNA lohnt sich auf jeden Fall.


Für Schmidt-Spiele nicht ganz so, denn sowohl VIENNA als auch EVOLUTION sind im Jahrgang 2014/15 ohne Erwähnung der Jury geblieben. Schade, denn dann wird es wohl nie eine andere Stadtausgabe geben, keine von NEW YORK, keine von PARIS und keine von BERLIN. Macht auch nix, denn ich bin jetzt mit Wien versöhnt.



Schreiben ich jetzt auch noch, dass ich VIENNA jederzeit wieder spielen würde? Klar, würde ich, aber ich weiß auch, dass es jetzt – wenn die Rezi geschrieben ist – nur noch für Erinnerungen an die guten, spannenden und fordernden Entscheidungen reichen wird. VIENNA schafft es souverän und dauerhaft in mein Spielegedächtnis. Das ist dann mein gedankliches Dauerspielregal, in dem all die Spiele landen, die ich wirklich gerne gespielt habe.

3 Kommentare:

  1. Na gut, dann hole ich das nochmal raus, ist bei uns vor einer Weile ziemlich gefloppt, obwohl es so gut aussieht und mit vom Thema und der Idee her wirklich zugesagt hat.

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    1. Meinst du, das Spiel hat noch Chance? Ist doch schon verbrannt. Das ist jedenfalls meine Erfahrung mit gefloppten Spielen. Ich bräuchte mit einem "verbrannten" Spiel gar nicht erst wieder auflaufen. Abgehakt ist abgehakt.

      Oder spielst du Vienna dann in einer anderen Gruppe?

      Und was ist mit Evolution? Ist doch auch durchgefallen ... Schon gespielt?

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  2. Evolution war auf einer Conväntschn, das spiele ich nochmal donnerstags in ruhigerer Runde mit Bekannten (und nicht mit mir unbekannten Nerds, die es auch noch schief erklärt haben). Jedenfalls habe ich mir das noch vorgenommen.
    Vienna wird schon schwieriger... Das fanden die beiden Mitspielerinnen banal, wird aber vielleicht noch was mit Leuten, die kein Workerplacement kennen. Solche kommen bald vllt mal zum Essen vorbei.
    Aber es stimmt schon, floppt ein Spiel, ist es weg vom Fenster. Hier ist es etwas anders, weil beide zufälligerweise nicht bei den "echten" Testern durchgefallen sind, sondern bei Zufalls"gruppen".
    Und überhaupt, was Rezensenten immer mit ihren "Gruppen" haben, die Frau und ihre Freundin (die Vienna-Skeptikerinnen) sind doch keine Gruppe!

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