Dienstag, 20. August 2013

Rezension: Snowdonia von Lookout und Interview mit Tony Boydell

Nur rauf!

Was habe ich nicht schon alles vergessen ... Die ganz alten Geschichten allerdings nicht, die bleiben, weil ich sie immer wieder erzähle. Nur vergesse ich schnell wieder, wem ich was schon erzählt habe. Ihnen noch nichts, oder?! … Wissen Sie eigentlich, wo es den besten Kaffee gibt? Und wie viele Buchstaben der längste Ortsname der Welt hat? Ich weiß es, sogar von einem, der Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch ohne zu stocken aussprechen kann. Der pensionierte Kanadier aus Wales hat mir in der Zahnradbahn gegenüber gesessen. Er auf der besseren Seite, hatte den Gipfel des Snowdon im Blick, ich blickte talwärts und musste mich an jeder größeren Steigung in den Sitz stemmen. Wäre ihm sonst womöglich noch entgegen gefallen. Wie im Spiel ging's für mich und meine Familie nur rauf. Bis zur Gipfelstation. Und oben war sogar klare Sicht.
Und können Sie sich vorstellen, dass wir bei unserem Abstieg wieder von denselben Leuten eingeholt wurden, die uns unterhalb des Gipfels schon entgegen gekommen sind? Wahrscheinlich ist schnelles Rauf und Runter in Wales Nationalsport. Die Sportler haben dafür leider auf dem Abstieg den weltbesten Kaffee ausgelassen. Den gab's im Halfway Café, nur hatte das Häuschen keine Toiletten. Und so ein Kaffee kann ganz schön treiben, bergab ging es ab da dann doppelt so schnell. Uns hat keiner mehr überholt. In der Talstation in Llanberis erwartete uns Rettung. Wahrscheinlich hatten die Rauf- und Runter-Renner ihren Kaffee bereits auf dem Gipfel auf. Druck macht bekanntlich Tempo …
Genug der alten Geschichten. Aber die Fahrt mit der schnaufenden Zahnradbahn war schon beeindruckend, zumal die Eisenbahn schon seit 1896 Passagiere den Berg hinauf fährt. Die Loks sind teils immer noch dieselben kleinen, schnaufenden, stinkenden Ungetüme. Und mit dem Bau der Strecke setzt SNOWDONIA ein. Wir bauen die Schienen den Berg hinauf, errichten Station um Station bis der Gipfel erreicht ist.
Und was heißt das dann in die moderne Spielewelt übersetzt? Natürlich Worker Placement. Wir schicken unsere beiden Arbeiter zu den Aktionsfeldern. Da rackern sie dann. Wer zuerst kommt, darf auch als erster ran. Die Zugreihenfolge ist wichtig, denn sie entscheidet, wer wann, wo und wie bauen, einkaufen oder tauschen kann. Ressourcen und Arbeitsplätze sind schnell knapp. Die Zugreihenfolge sollten Sie also immer im Auge behalten. Am besten ist natürlich, selbst Startspieler zu sein. Moment: Da kann man zwar als erster bei einem Aktionsfeld starten aber leider längst nicht an allen. Es ist gar nicht so einfach, den besten Arbeitsplatz für seine Arbeiter zu finden. Was werden die Anderen tun? Was brennt Ihnen und denen unter den Nägeln? Wo sollte man zu eigenem Vorteil reingrätschen und wo dürfen die Mitspieler jetzt ungestört agieren? Wer unbedingt Startspieler werden will, platziert auf dem Lagerplatz seinen Arbeiter im letzten Slot. Das kann dann durchaus bedeuten, dass man gar nicht an die Ressourcen Steine, Eisen und erst recht nicht an Kohle kommt. Mir persönlich gefällt es, links vom Startspieler zu sitzen. Das reicht meistens, und kostet mich nichts. Von mir aus kann wer anderes Startspieler sein, nur bloß nicht mein linker Nachbar. Hinten zu sitzen ist oft ziemlich doof.
Die Lok gab's oben auf dem Gipfel im Souvenir-Shop
Sind Sie jetzt verwirrt? Ich will Sie ja nicht unter Dampf setzen, denn das schafft SNOWDONIA von ganz alleine. Man steht ständig unter Spannung, denn es gibt so viele Baustellen, Stellschrauben, Aktionen. Alles auf einmal geht gar nicht, trotzdem: In SNOWDONIA ist alles mit allen aufs Vortrefflichste verzahnt. Und wenn man Glück hat, kommt man sogar an einen dritten Arbeiter. Aber nur für eine Runde, dann muss er wieder in den Pub. Außerdem muss man dafür vorher eine der Loks angeschafft haben. Für eine Lok ist Stahl erforderlich, den es nur in der Werkstatt für drei Eisen gibt. Der Stahl ist aber auch für die Schienen und so manche Station wichtig. Außerdem gibt's noch Auftragskarten, die einem eine bestimmte Strategie nahelegen und zudem auch das Wetter am Berg bestimmen.
Sind Sie jetzt nicht doch endgültig verwirrt? Keine Sorge ob der vielen Details. Es klappt schon, der Spiel-Rhythmus geht Ihnen ganz bestimmt in Fleisch und Blut über. Das passt schon. Ach, hatte ich schon die Ereignisse erwähnt. Das sind im wesentlichen Fremdfirmen, die dann uns die Arbeit wegnehmen. Fremdfirmen und andere eher unerfreuliche Ereignisse werden über die Ressourcenklötzchen gesteuert. Befinden sich viele dieser Klötzchen in Spielerhand, bleiben verhältnismäßig viele weiße Klötzchen im Beutel. Da steigt dann schnell die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens ein weißes Klötzchen aus dem Beutel gezogen und ein Ereignis ausgelöst wird. Sind dann vier der fünf weißen Klötzchen ausgelegt, kommen die ersten drei der Ereignisleiste wieder zurück in den Sack, auf dass sie wieder aus dem Sack kommen können, sobald Ressourcen nachgezogen werden. Immer wieder kommen alle ausgelegten weißen Klötzchen zurück in den Sack, so dass auch immer wieder Fremdfirmen das Spiel beschleunigen. Deren Arbeitsleistung dürfen Sie nicht unterschätzen. Die räumen sofort auf einem Streckenabschnitt das Geröll beiseite, legen Schienen, bauen Bahnhöfe. Eigentlich sind sie und das Wetter die treibenden Kräfte. Ach, das Wetter habe ich noch gar nicht erwähnt. Die Rückseiten der Auftragskarten bestimmen das Wetter bzw. die Wettervorhersage. Entweder scheint die Sonne, es regnet oder es ist Nebel. Entsprechend gut, schlechter oder gar nicht klappt der Streckenbau. Der Wetterbericht gilt für die kommenden zwei Runden.
Ich merke, Sie sind doch ob der vielen Stellschrauben ganz platt. Vertrauen Sie mir, es klappt schon. Vielleicht nicht beim ersten Mal, da hat uns unsere eigene Regelinterpretation ausgetrickst. Oder hat uns die Regel böswillig aufs Glattgleis geführt? Wie man die Bonusfunktionen auf den Auftragskarten nutzt, ist nicht unbedingt eindeutig beschrieben. Statt die Auftragskarte nach einmaliger Bonus-Nutzung auf der Seite liegen zu lassen, haben wir sie nach jeder Runde wieder zurück gedreht und erneut verwendet. Oha, das ging mächtig in die Hose, weil die Karten dann viel zu mächtig sind. Ein klitzekleiner Hinweis, dass sie eben nur ein einziges Mal zum Einsatz kommen, wäre schon sehr hilfreich gewesen. Überhaupt die Auftragskarten – auch ohne Bonusfunktion können einen zur Weißglut treiben! Entweder weil man die vielen Punkte nicht abgreifen kann oder weil ein anderer fett viele Punkte für seine Auftragskarte bekommt. Alles klar soweit?!
Ach, da steht ja noch der Vermesser dumm herum. Den zur Arbeit zu schicken, ist auf den ersten Anschein nur eine Art Notlösung. Wer ihn aber von der Talstationen bis auf den Gipfel schickt, erzielt am Ende satte 21 Punkte. Er muss dafür nur Runde um Runde den Berg hinauf gescheucht werden. Jetzt alles klar?!
Also, nochmal zum mitlesen: SNOWDONIA ist ein Szene-Spiel. Nur Vielspieler kämen auf die Idee, sich das Spiel überhaupt zuzulegen. Für mich hat es jedenfalls ein paar entscheidende Momente. Es ist ein Worker-Placement-Spiel, es ist komplex, es ist ein Eisenbahnspiel. Jeder einzelner Punkt schon ein Muss. Dass es für mich noch einen besonderen Bonus hat, sollte sie gar nicht interessieren: Ich bin mit der Bahn den Snowdon rauf gefahren. Auf der Rückseite des Bretts lockt mich noch die Strecke von Porthmaddog zu den Schieferminen von BLAENAU FFESTINIOG. Die Schieferminen habe ich übrigens auch besucht. Da hat es in Strömen geregnet, aber unter der Erde, in den riesigen Schieferhöhlen, störte das kaum.

Wolfgang Friebe

Tony Boydell: SNOWDONIA für 1 bis 5 Spieler mit Illustrationen von Tony Boydell, Charlie Paull und Klemens Franz bei Lookout Spiele und Surprised Stare Games Ltd. 2012

Diese Rezension erschien zuerst in Fairplay 103, April/Juni 2013 

Ein paar Fragen an Tony Boydell, den Autor von SNOWDONIA:

Fairplay: Wie lange braucht man, um auf den Snowdon zu kommen?
Tony Boydell: Ah, ich bin nie selbst den Snowdon herauf gewandert. Als ich noch sehr jung war, bin ich mit meinen Eltern mit der Bahn rauf gefahren. Aus dem Internet weiß ich aber, dass man je nach Route ungefähr sechs Stunden braucht um auf den Gipfel und wieder runter zu gehen. Der Snowdon ist ein ziemlich freundlicher Berg – wirklich! Zur Viktorianischen Zeit haben die Leute die Bergtour sogar in Anzügen und Kleidern gemacht.

FP: Was ist besser: Mit der Bahn rauf oder runter zu fahren oder den Zug für beide Fahrten zu nehmen?
TB: Ich glaube, dass man entweder rauf und runter laufen oder rauf und runter fahren muss. Ich würde hoch laufen und runter fahren, aber das ist – glaube ich – nicht möglich. Ich denke, wer den Zug nimmt, hat oben nur wenig Zeit, bevor der Zug wieder runter fährt.

FP: Welche Auftragskarte lassen Sie nie liegen, wenn Sie die Chance haben, sie zu bekommen?
TB: Meine drei persönliche Favoriten:
Nummer 3 (nach allen Räumarbeiten kannst du das nächste Feld ebenfalls freiräumen), weil man damit viel Geröll bekommt und vielleicht ein paar Punkte machen kann, wenn man einen Bahnhof freiräumt.
Nummer 12 und 24, weil ich 4 Erz in 2 Stahl umwandeln kann ohne dass ich einen Arbeiter in die Werkstatt (Aktion C) schicken muss
Nummer 26 und 30 verdoppeln die Anzahl des Gerölls, das sich nehmen muss. Ja, gerne! Das nehme ich sogar mit, wenn mich Geröll sonst nicht interessiert, einfach um jemanden zu ärgern, der auf Geröll aus ist.
Grundsätzlich ist alles gut, was einem eine zusätzliche Aktion verschafft … aber gut sind ebenfalls Karten, die einem einen Rabatt verschaffen … und alle andere Karten auch! Es sind schließlich nur 30 Karten im Stapel, für mich sind alle gleich nützlich.

FP: Wie fanden die Ereignisse ihren Weg ins Spiel? Waren die von Anfang an dabei?
TB: Ja, schon bei den allerersten Notizen. Das erstaunliche an der echten Bahn ist, wie schnell sie alles gebaut haben, trotz des Berges und des Wetters! Ich wollte deshalb, dass alles im Spiel schnell voran geht. Die Ereignisse in der Endversion sind fast identisch mit denen der ersten Testspiele.

FP: Wie wichtig ist der Vermesser?
TB: Er ist für ein paar Punkte im Snowdon-Szenario gut und wird oft als Verlegenheitszug gesehen, aber das ist ein bisschen unfair. Bei Sonnenschein sind einige andere Aktionen besser, um an Punkte zu kommen. Außerdem hat man dann oft zu wenig Zeit, aber wenn es regnet oder neblig ist, ist es gut ihn den Berg hinauf zu schicken, weil 21 Punkte mindestens gleichwertig zu sehr guten Auftragskarten sind.
Im Szenario von Blaneau Ffestiniog (auf den Rückseiten der Snowdon-Bahnhöfe) ist er wesentlich, weil niemand bauen kann, ohne ihn weiter zu schicken.
In der kommenden Erweiterung Jungfraubahn und Mount Washington ändert sich die Funktion des Vermessers erneut …

FP: Empfehlen Sie, hinter jedem Stück Kohle hinterher zu laufen, selbst wenn nur die kleinste Chance besteht sie zu ergattern?
TB: Zu Anfang des Spiels ist Kohle sehr nützlich, falls man eine Lok kaufen will. Außerdem gibt es nur wenig Kohle im Spiel. Wenn man selbst alle Kohle hat, kann niemand sonst seine Loks für Extra-Aktionen einsetzen.

3 Kommentare:

  1. Sehr schöne Rezi zu einem tollen Spiel. Ich bin ja gespannt, wo du deinen Spielen noch überall nachreist...
    Die Probleme mit den Bonuskarten kommen mir bekannt vor. Trotzdem ist Snowdonia ein thematisch schönes und spannendes Spiel.

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  2. Dieser tolle Bericht macht wieder Lust auf dieses gelungene Spiel.

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  3. Danke für die Blumen. Dass ich den Spielen hinterher reise, ist nicht beabsichtigt. Ist eher Zufall oder wenn der Spiele-Ort auf dem Weg liegt, so wie die Festung Louisburg.

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