Donnerstag, 10. Juni 2010

Sachfremde Erwägungen zum Spiel des Jahres 2010

Eigentlich wäre es gar nicht notwendig, diese fünf Spiele zu spielen um festzulegen, welches das Spiel des Jahres wird. Ob nun A LA CARTE, DIXIT, IDENTIK, FRESKO oder IM WANDEL DER ZEITEN – BRONZEIT – WÜRFELSPIEL „Spiel des Jahres“ wird oder nicht, liegt allein in der Weisheit der Jury. Deren spielerischer Sachverstand ist so grandios, dass nichts als der Spielreiz über den Ausgang der Wahl entscheidet. Alles andere, egal welcher Verlag, Autor oder Grafiker, bleibt selbstverständlich außen vor. Aber wir alle sollten doch wissen - ob aus dem privaten oder beruflichen Umfeld - dass nicht nur sachliche Erwägungen entscheidend sind. 7/8 aller Gründe bleiben ungenannt, laufen nur auf der Beziehungsebene und unter dem Tisch ab. Deshalb folgt hier auch keine Bewertung der Spiele, sondern nur die Auflistung meiner total objektiven, aber bestimmt nicht völlig sachfremden Erwägungen:

A LA CARTE
Das Spiel ist ja erstmal ein ganz alter, grauer, bärtiger Vertreter seiner Art. 1989 erstmalig erschienen, lange Zeit nur als teures Sammlerstück erhältlich, liegt es jetzt ganz neu und vor allem zeitgemäß professionell produziert vor. Professionell produziert? Der Herd macht Mucken, die Temperaturregelung arbeitet viel zu ungenau, lässt sich nicht eindeutig auf einer Heizstufe fixieren. So einen unsicheren Herd – noch dazu ohne CE-Kennzeichen – darf in der EU nicht in Verkehr gebracht werden. Das ist natürlich ein totales Ausschlusskriterium, neben den ernährungswissenschaftlich zweifelhaften Rezeptvorschlägen. Will man sich darüber hinwegsetzen, wird endlich wieder Urgestein der deutschen Szene gewürdigt. German Games go first!

DIXIT
Es wäre natürlich schändlich, die geringere Hälfte der Menschheit vom Spielen auszuschließen. DIXIT ist kein Männerspiel, jedenfalls keines für echte Kerle, es sei denn, sie haben ein paar weibliche Gene. DIXIT ist ein Spiel für Mädchen und alle, die sich dafür halten. Das ist natürlich sexistisch und gehört sich nicht. Damit begäbe sich die Jury aufs Glatteis, denn keiner der Jury-Männer wird sich als Mädchen outen. Und wenn sie es müssten? Weil vielleicht schon eine Dame mit einer Peitsche auf die Jury-Männer wartet, falls sie sich gegen DIXIT entscheiden? Lieber als Mädchen gebrandmarkt, als von einer Frau verbal ausgepeitscht zu werden. Ich kenne diese Frau, ich weiß wie sie das macht … Wie kommen die Jury Männer aus diesem Dilemma? Sie erklären DIXIT trotz gravierender Einwände zum Spiel des Jahres, weil sie eines ganz genau wissen: DIXIT wird lange leben, und langes Leben bringt viele Lizenzgebühren. Ohne Schläge und noch dazu mit mehr Geld durchs Leben zu kommen, ist doch der Wunschtraum jeden echten Kerls.

FRESKO
Denken Sie an das große F. Die drei großen F des letzten Jahres sind auch nicht zum Zug gekommen: FAUNA, FITS und FINCA. In diesem Jahr wird es FRESKO so ergehen wie FINCA. FINCA ist zur Hälfte, FRESKO aber zu Zweidritteln ein Spiel von Frischlingen. Was haben Marco Ruskowski und Marcel Süßelbeck schon geleistet? Haben Debutanten den Preis der Preise verdient? Müssten sich die beiden nicht erst bewähren? Wären da nicht ganz andere vorher an der Reihe? Zweidrittel-Anteil Frischlinge ist ja bekanntlich mehr als die Hälfte, also stehen die Chancen dieses Jahr noch viel schlechter als für FINCA letztes Jahr. Und auch JENSEITS VON THEBEN war 2007 ebenso nur Zählkandidat wie DER queensche DIEB VON BAGDAD.

IDENTIK
Es soll ja Menschen geben, die gar nicht zeichnen können, schon gar nicht ein Bild, das sie nicht sehen dürfen. Diese Gruppe ist nicht klein, so ungefähr die Hälfte der Menschheit ist in dieser Hinsicht unfähig. Und es soll sogar Menschen geben, die nicht klar und unmissverständlich beschreiben können. Diese Gruppe ist noch größer: mehr als die andere Hälfte der Menschheit. Und wenn die eine mit der anderen Hälfte spielt, dann … gibt es erst Kommunikationsstörungen, dann Verwicklungen und am Ende Streit, aber möglicherweise nur in jeder zweiten Runde. Wer nicht zeichnen kann, kann vielleicht gut erklären, und wer nicht beschreiben kann, kann vielleicht gut zeichnen. Und falls nicht? Dann taugt INDENTIK in keinem Fall, bringt nur Stress und Ärger. Ein viel zu unsicheres Spiel, dann schon lieber DIXIT, das wenigstens mit der größeren Hälfte der Menschheit sicher funktioniert.


IM WANDEL DER ZEITEN – WÜRFELSPIEL – BRONZEZEIT
Das Würfelspiel ist ein absoluter Topp-Kandidat, wenn man denn unbedingt solo spielen will. Ist schließlich ab 1 Person. Und es gibt ja so viele einsame Singles, besonders älteren Jahrgangs. Für diese Gruppe ist das Spiel die richtige Beschäftigung. Man würfelt so vor sich hin, steckt diesen Stift nach rechts und jenen nach links. Stopp! Stopp! Stopp! Wie sollen denn ältere Herrschaften diese mickrigen Stifte greifen und dann noch das richtige Loch im Brettchen treffen? Da muss der Verlag aufpassen, dass die Bretter nicht bald zweckentfremdet werden. Schraubt man vier zusammen, hat man ein ganz passables Frühstücksbrettchen. Man darf allerdings nur die Rückseite verwenden, sonst bleiben die Krümel in den Löchern hängen.

3 Kommentare:

  1. [...] das wenigstens mit der größeren Hälfte der Menschheit sicher funktioniert [...]

    Herrlich ;-)

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  2. Herrlich. Danke für diesen witzigen Beitrag, der gar nicht mal so realitätsfern ist, wie manch einer glaubt. Wer übrigens über seinen Wunsch zum Spiel des Jahres abstimmen möchte, kann das auf Reich der Spiele noch bis Ende des Monats machen. Vielleicht taugt ja dieser Beitrag zur Meinungsbildung. Frühstücksbrettchen gegen weibliche Gene und streitende Menschheitshälften gefällt mir jedenfalls. :-D

    Michael von Reich der Spiele

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  3. Herrlich! Danke für diese (endlich einmal) sachliche Auseinandersetzung mit dem Preis aller Preise. Habe nach einem stressigen Tag doch tatsächlich ein erstes Lächeln auf den Lippen... ;)

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